Die Marken - Heimat des Verdicchio
Blick über die Marken
Blick über die Weinberge
Italiens beste Rotweine, wie Amarone, Barolo, Barbaresco, Brunello und Chianti Classico, um nur einige zu nennen, haben schon lange Eingang in die Weinkeller von Weinfreunden in aller Welt gefunden, doch seit ein paar Jahrzehnten tut sich auch etwas an der Weißweinfront. Friulano und Pinot Grigio aus dem Collio, Vitovska und Malvasia vom Karst, Trebbiano di Lugana und Custoza vom Südufer des Gardasees, Greco di Tufo und Falanghina aus Kalabrien, Vermentino von Sardinien finden nicht nur Aufnahme in die elitäre Riege der 3-Gläser-Weine des Gambero Rosso, sondern auch in die Weinkarten experimentierfreudiger Sommeliers.
Weinberge
(c) Michael Ritter
Die Renaissance des Verdicchio
Die Marken bilden die Mitte Italiens, liegen quasi an der Wade des „Stiefels“. Hier vereint sich das wilde Temperament des Südens mit der Eleganz des Nordens. Der größte Schatz der Region – abgesehen von Trüffeln, die hier in ausgezeichneter Qualität gedeihen und über die wir schon einmal berichtet haben – ist der weiße Verdicchio, der inzwischen zu den wichtigsten Weißweintrauben Italiens zählt. |
Die schon seit den Zeiten der Etrusker gepflanzte Rebsorte wird hier seit dem 14. Jahrhundert angebaut. Als „Verdicchio dei Castelli di Jesi” hat sie den Status eines “Classico Superiore”. |
Jesi
(c) Michael Ritter
BUMMEL DURCH JESI
Beim Bummel durch Jesi kann man sich davon gut überzeugen. Das historische Zentrum ist voller Kultur und sehr lebendig. Zuvor beeindruckt die auf römischen Fundamenten errichtete gewaltige Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert. Riesige Stützpfeiler und mächtige Wehrtürme sichern sie ab und heute wie vor 600 Jahren umschließt sie die engen Gassen der Altstadt, die zu Entdeckungsreisen verlocken. |
An der nahen Piazza Colocci zeugt der aus der Renaissance stammende Palazzo della Signoria mit dem zum Sprung ansetzenden Löwe über dem Eingang von der einstigen Macht. In seinem Inneren beeindruckt Andrea Sansovinos dreirangiger Innenhof. |
Weinberge in den Marken
(c) Michael Ritter
DIE BEIDEN VERDICCHIO DOC ANBAUGEBIeTE
Zurück zum Wein: Die Rebfläche für den Verdicchio dei Castelli di Jesi liegt derzeit bei rund 3.000 Hektar. Die des Verdicchio di Matelica, auf den wir später zurückkommen werden, ist mit gut 300 Hektar wesentlich kleiner. Noch immer gibt es industriell gefertigte Verdicchios in der einst typischen Amphorenflasche, doch inzwischen haben die einst unerfahrenen kleinen Winzer und einige Genossenschaften dazugelernt und die Weine, die wir auf der Reise verkosten, unterscheiden sich massiv von den fast öligen gelben Weinen, die ich während des Studiums bei Besuchen der Region in den Trattorien im Hinterland vorgesetzt bekam. |
Damals merkte man, dass die Winzer im Chianti-Gebiet den Kollegen aus den Marken einen Schritt voraus waren. Inzwischen haben sie aufgeholt und das Konsortium achtet bei den DOC und DOCG-Weinen streng auf Qualität. |
Stefano Antonucci von Santa Barbara
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STEFANO ANTONUCCI UND SEIN WEINGUT SANTA BARBARA
Unser erster Besuch führt uns zum Weingut Santa Barbara und damit gleich zu einem der besten Produzenten der Marken und lokalen Stars der Weinszene: Stefano Antonucci. Die Weine des früheren Bankiers zeichnen sich durch frische Frucht und Eleganz aus. Das milde Mikroklima und die frische Meeresluft geben den seinen Weinen ihren ganz eigenen Charakter. |
Für eine gute Selektion oder einen Riserva muss man in Deutschland meist um die 12 € ausgeben, wer große komplexe Verdicchio Riservas, wie Santa Barbaras Castelli dei Jesi Verdicchio Riserva DOCG Stefano Antonucci zu schätzen weiß, bekommt für rund 40 Euro einen großen Wein mit exotischer Finesse und feinem Schmelz. Auch andere Topweine liegen annähernd in dieser Preislage. Unser Tipp: Wer eine Kiste (oder mehr) des Le Vaglie zehn Jahre im Keller vergisst, wird voraussichtlich nicht enttäuscht werden. |
Giovanni Marotti Campi
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LACRIMA DI MORRO D"ALBA BEI MAROTTI CAMPI
Am nächsten Morgen steht ein Besuch bei Marotti Campi auf dem Programm. Das mit 56 Hektar mittelgroße Weingut liegt im Ort Morro d´Alba, der namensgebend für den Lacrima di Morro d’Alba (Die Träne des Schwarzen) war, einem - wie der Name schon vermuten lässt – Rotwein aus der gleichnamigen Rebsorte Lacrima, aus dem das Weingut neben dem im Stahltank ausgebauten Basiswein Rubico, der etwas an den einfachen Dornfelder erinnert, den sehr viel ansprechenderen kräftigen Superiore Orgiolo voller Frucht und Würze, mit deutlichen Noten von Wacholder, Pfeffer, Heidelbeere und Lavendel herstellt. Ein Wein mit einer sehr schönen Säure. Bei der Verkostung mehrerer Jahrgänge zwischen 2003 und 2013 gefielen uns der 2010er mit seiner leichten Altersnote und der 2006er besonders gut. |
Inhaber Giovanni Marotti Campi setzt seinen Schwerpunkt dennoch vor allem auf den Verdicchio, der uns sehr beeindruckte. Giovanni ist davon überzeugt, dass eine längere Reifung dem Wein gut tut und er an Struktur gewinnt. Konzentriert, füllig und modern angehaucht, verleugnen seine Weine nicht die klassische, typische Art. Allerdings kennt er seine Weine auch und rät zur Vorsicht. Zwar könne man sie schon gut trinken, wenn sie auf den Markt kämen, würden sich dann allerdings wieder für ein paar Jahre verschließen und erst später mit den dazugewonnen Reifenoten echten Trinkspaß verursachen, was er uns bei einer Vertikalverkostung einiger älterer Jahrgänge des Verdicchio dei Castelli di Jesi Salmariano , eines Classico Superiore DOC Riserva, zeigte. Der Wein ähnelt seinem kleinen Bruder Luzano, toppt diesen aber an Kraft, Dichte, Reife und Intensität. Verwendet werden dafür sehr spät gelesene Trauben, die am Gaumen ein großartiges geschmackliches Feuerwerk auslösen. Ein schöner Begleiter für kräftige Fischgerichte. |
Weinlieferung
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MODERNSTE TECHNIK IM WEINGUT CASALFARNETO
Wir verlassen das Weingut und fahren weiter ins Landesinnere nach Serra de‘ Conti, einem kleinen Örtchen mit einer ebenfalls fast vollständig erhaltenen Stadtmauer. Von einem grünen Hügel, rund 350 m über dem Meeresspiegel überblickt man die sanften Täler und weitere mittelalterliche Dörfer. Das dort gelegene Weingut Casalfarneto wurde 1995 gegründet, umfasst drei alte Landhäuser und einen hochmodernen in den Hügel verborgenen Weinkeller. Seinen Namen erhielt es von den Jahrhunderte alten Eichen, die für dieses Gebiet typisch sind. 32 der 60 Hektar Land sind dem Weinbau gewidmet. Auch hier dreht sich das Geschäft hauptsächlich um Verdicchio dei Castelli di Jesi Classico, doch auch Montepulciano, Sangiovese, Cabernet und Merlot gönnt man 5 Hektar. |
Der Castelli di Jesi Verdicchio Riserva DOCG Classico Crisio zählt zusammen mit dem sehr schönen Grancasale 2013 und dem Cimaio 2013 mit ihrem guten Preis-Leistungs-Verhältnis zu den Entdeckungen der Reise. Auch die Kollegen vom Gambero Rosso, die ihm drei Gläser gaben, waren ganz hingerissen und schrieben über den 2013er Jahrgang :„Dieses Jahr sollte der Crisio der Wein mit den meisten Gläsern sein; die faszinierende Nase von Ingwer, Zitrus und rauchigen Nuancen findet sich in einer bewundernswerten Balance und einem profunden Finale am Gaumen wieder." Dem ist nichts hinzuzufügen. |
Weinberge in den Marken
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MONCARO - SUPERGENOSSENSCHAFT FÜR VERDICCHIO
Nach dem Frühstück fahren wir nach Montecarotto, einem weiteren der die Hügel dominierenden mittelalterlichen Dörfer. Dort hat die Winzergenossenschaft Moncaro Terre Cortesi ihren Sitz. Das eindrucksvolle Weingut entstand durch den Zusammenschluss der für ihre hohe Weinqualität bekannten Kooperativen Montecarotto, Conero und Aquaviva Picena. Mehr als 600 Weinbauern mit gut 1.600 Hektar Rebfläche werden von ihr gut vertreten. Die Weinberge liegen in den besten Anbaugebieten der Marche. |
Weine, wie der Riserva Vigna Novali, überzeugen durch fruchtige Aromen, ausgefeilte Strukturen, angenehme Harmonie und bereiten viel Trinkfreude. Klares Gelb mit goldenen Reflexen, komplexer Duft nach reifen Früchten, Anis und gelben Blüten und balsamischen Noten. Der Verdicchio aus spät gelesenen, überreifen Trauben passt gut Räucherfisch und Risotto. D’Ignazi ist ein Freund komplexer und reifer Weine und man merkt ihm bei der Verkostung förmlich an, dass er seinen 2013er Jahrgang lieber noch vom Markt fernhalten möchte. „Der Wein braucht noch ein paar Jahre“, sagt er. „Er gewinnt mit der Zeit an Komplexität ohne seine Frische einzubüßen.“ Als Highlight holt Giuliano D’Ignazi noch eine Flasche vom Jahrgang 2001 aus dem Keller, deren Petrolnote an einen gereiften Riesling von der Mosel erinnert und nicht nur den Önologen begeistert. Schade, dass man solche großartigen alten Verdicchios nur noch sehr selten findet - ausser bei den Passito-Süßweinen. Unbedingt probieren sollte man auch den Passito der Genossenschaft. Der Tordiruta 2006 ist wohl einer der gelungensten Verdicchio-Süßweine den wir probiert haben: goldgelb leuchtend von einem wundervollen Bukett exotischer Früchte, Honig, gelber Pfirsich, Vanille und Ananas. Man möchte den lieblichen Geschmack gar nicht mehr missen. |
Weinberge von Matelica
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VORBEI AN DER GROTTA DI FRASASSI NACH MATELICA
Dabei macht es einen Unterschied, ob man sich für die Weine von den Castelli dei Jesi entscheidet oder für Weine aus dem knapp eine Autostunde westlich gelegenen kleineren und kühleren Anbaugebiet Matelica, von deren umgebenden Berghängen man schon einen Blick auf den massigen Monte Subasio werfen kann, an dessen Westhang der Heilige Franz sein Kloster in Assisi baute. Die Fahrt führt entlang des Esino auf einer autobahnähnlich ausgebauten Schnellstraße durch den Regionalpark Golla della Rossa. |
Wer mag kann einen Abstecher zur beeindruckenden Grotta di Frasassi unternehmen, einer der spektakulärsten Karsthöhlen Europas. |
Roberto Potentini von Belisario
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BELISARIO UND DER VERDICCHIO DI MATELICA
In der 1971 gegründeten Genossenschaft Belisario ist der Önologe Roberto Potentini deren Direktor. „Unsere Weinberge liegen auf 420 bis 900 Metern Höhe“, sagt er und zeigt uns die 300 Hektar, die fast das gesamte Anbaugebiet des Verdicchio di Matelica DOCG darstellen, von einem Aussichtspunkt oberhalb der Stadt. Deutlich höher als in den Castelli di Jesi, wo nicht einmal die Spitzen der Bergdörfer über 400 Meter Höhe liegen. Für den Wein bringt das eine frischere und präsentere Säure. Der 56-jährige Potentini hat sich schon an der Universität über den Verdicchio di Matelica DOC graduiert. Zu Beginn bringen die Trauben seiner Verdicchios viel Zucker, hohe Säure und einen niedrigen Ph-Wert mit. Die richtige Voraussetzung für eine langsame Alterung des Weins, der in dem Anbaugebiet meist etwas dichter ist, als bei den Konkurrenten aus Jesi. |
Der Cambrugiano war 1988 der erste Riserva-Verdicchio und wird seitdem mit kurzer Maischegärung oder Cryo-Mazeration hergestellt. Dabei werden die Trauben nach dem Abbeeren gemahlen und bleiben dann bis zu 24 Stunden bei niedrigen Temperaturen auf den Schalen liegen, ohne dass der Most dabei gären kann. Die so entzogenen Farbpigmente und Phenole reichern den Wein später geschmacklich an. Seine Reifung erlebt der Wein im Stahltank und - zum Teil - im Eichenfaß. Ein sehr gelungener Wein. |
Das Teatro Piermarini
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DAS TEATRO PIERMARINI
Beim Bummel über den Corso Vittorio Emanuele durch das historische Zentrum der 10.000 Einwohner-Stadt stehen wir schnell vor dem Tor des 1805 von Giuseppe Piermarini erbauten Theaters. Die Besonderheit ist die Enoteca und Bar im schmalen Foyer, die uns Potentini ganz stolz zeigt und an der man den frischen Sekt Cuvèe Nadir Brut bekommt, den Belisario im Chamat-Verfahren aus Verdicchio produziert. Doch das Geheimnis liegt im eindrucksvollen Theatersaal, einem Spätwerk des Architekten Piermarini, dessen bekanntestes Theater, das Mailänder Teatro alla Scala, jedem Opernfreund ein Begriff ist. |
In einem winzigen Örtchen, das erst wenige Jahre vor dessen Eröffnung zur Stadt ernennt wurde, hätte man so etwas nicht vermutet. Was hätte ein schönerer Abschluss eines gelungenen Kurzbesuchs im Reich des Verdicchio sein können. Eins steht fest: der letzte Besuch in der Region bleibt dies nicht. |
Oktopus in der Hostaria dietro le Quinte
(c) Michael Ritter
(c) Connaisseur & Gourmet 2021