Wir lieben Lebensmittel

Schinken aus dem Ammerland

Im alten Ammerländer Bauernhaus im Freiluft Museum in Bad Zwischenahn lodert im Raum ein Feuer aus Buchenholz. Es ist dunkel und rauchig im Raum und weiter oben unter der Decke des prächtigen Fachwerkhauses hängen an ebenfalls vom Rauch schwarzen Balken dicht an dicht Schweinebeine, genauer gesagt Schinken, die Henning Meyerjürgens dort aufgehängt hat.

Henning ist der Chef einer kleinen Spezialitätenfleischerei im Ort und für seinen Schinken, den er innerhalb von wenigen Sekunden mit geübten Schnitten fachgerecht aus einer Schweinehälfte trennt holt er sich Haschenbroker Landschweine, sogenannte Strohschweine, bei denen seine Lieferanten, die Familie Deye aus dem benachbarten Kreis Oldenburg als Vater einen potenten Duroc-Eber gewonnen hat, der dem Fleisch eine besonders zarte und aromatische Note verschafft.

Strohschweine deshalb, weil sie auf dem Hof viel Auslauf, Stroh und Frischluft bekommen und artgerecht unter Einhaltung des Tierwohls gehalten werden, was den Deyes den Innovationspreis der Initiative Tierwohl einbrachte.

Räuchern oder Lufttrocknen? Was ist besser?

Es ist eine Spezialität des nordeuropäischen Raums, dass man Lebensmittel zur Haltbarmachung nicht an der Luft trocknet, sondern sie räuchert, genau wie auch Würste oder verschiedene Fische.

Beim Räuchern, dass man im Süden auch als Selchen kennt, konserviert man Lebensmittel, indem man sie zuvor salzt oder pökelt und dann über längere Zeit dem Rauch von Holzfeuern aussetzt. Die Trocknung reduziert den Wassergehalt um 10 bis 40 Prozent, aber die Wirkung tritt besonders durch die dadurch ausgelöste antimikrobielle Wirkung ein, die ihn haltbarer macht und dadurch, dass man durch die Härtung der Oberfläche das Eindringen von Mikroorganismen und Kleintieren verhindert.

Schinkenliebhaber sehen aber nicht nur die bessere Haltbarkeit, sondern die Auswirkungen auf Farbe, Geruch und vor allem Geschmack, denn auf die Aromabildung macht sich das Räuchern positiv bemerkbar. Beim Ammerländer Schinken verwenden wohl alle Metzger Buchenholz.

Räuchern ist eine Wissenschaft für sich. Das Verbrennen des Holzes führt zur Zersetzung von Cellulose, Hemicellulose und Lignin bei unterschiedlichen Temperaturen. Bei Temperaturen von 50 bis 85 °C spricht man von Heißräuchern, was Lebensmittel wenige Tage lang haltbar macht. Man nutzt sie gern bei Brät-, Fleischwürsten und Kochpökelware. Das Kalträuchern erfolgt bei 15–25 °C mit unterschiedlichen Harthölzern. Im Schwarzwald nutzt man zum Beispiel dafür Tannenspäne. Kaltgeräuchert bleiben Lebensmittel länger haltbar, wie Wurst, Schinken, Speck oder Räucherlachs. Dafür dauert es meist mehrere Tage lang und man wechselt Räucherphasen mit Frischluftphasen. In vielen älteren Bauernhäusern befindet sich eine Räucherkammer im Dachgeschoss.

Dielenräuchern - Tradition auf dem Bauernhof

Im Ammerländer Bauernhaus hat man mit dem Dielenräuchern die ursprüngliche Form des Räucherns. Hier steigt in einem großen Raum der Rauch vom offenen Herdfeuer in die Höhe. Für die Raumtemperatur sorgt die Außenwelt, die damit auch das jahreszeitliche Wettergeschehen abzeichnet, wenn die Schinken langsam vor sich hin reifen – manchmal länger als ein Jahr. Bei der Lufttrocknung wird durch die Außentemperatur ebenfalls Wasser entzogen und die Gerüche der Umwelt wirken auf den Schinken ein. Durch die Fermentation oder Gärung gewinnt der Schinken dabei in mikrobiellen und enzymatischen Prozessen seine besondere Aromatik. So reift zum Beispiel der Parmaschinken oder der spanische Pata Negra.

Vor Ort nennt man den geräucherten Knochenschinken auch Spiekerschinken. Es ist stets ein Hinterschinken, bei dem man das Fleisch zunächst nicht von den Knochen getrennt wird, damit es seinen besonderen Geschmack entwickeln kann. Nach dem Zuschneiden wird es mit Meersalz und Gewürzen gepökelt und so mehreren Wochen lang haltbar gemacht.

Es gibt dem Schinken später seine würzige Note. Vor dem Verzehr muss er dann aber noch über mehrere Monate geräuchert werden. Nicht alle der anderen Ammerländer Metzger haben dafür einen so besonderen Raum wie Henning Meyerjürgens.

Es ist ein besonders aufwendiges Verfahren, das der Ammerländer Spezialität ihre spezielle Note verleiht. Mindestens sieben Monate muss der Schinken reifen. Dabei verliert er zwar Gewicht, doch es zahlt sich durch den Geschmack aus. Diese Qualität hat natürlich auch ihren Preis.

Wenn Sie sich näher mit den Prozessen beschäftigen wollen, die bei der Zubereitung von Speisen entstehen, möchte ich Ihnen den Mainz forschenden Thomas Vilgis empfehlen. Neben seiner Tätigkeit als Professor für Physik am Max-Plank-Institut für Polymerforschung beschäftigt sich der begeisterte Koch in einer Reihe von lesenswerten Büchern mit diversen Küchenphänomenen, Aromen und der Kunst des Würzens.

© Michael Ritter

Verkostung

In Fabio Vianis Büro fallen die phantasievollen Kunstwerke an den Wänden auf, die er selbst aus nicht mehr genutzten Werkzeugen und Gegenständen hergestellt hat. Einige hängen auch im Verkostungsraum.

Am besten schmeckt Prosciutto Toscano DOP, da ist sich Viani sicher, wenn er nicht mit der Maschine, sondern auf traditionelle Art mit einer kalten Klinge von Hand geschnitten wird. Nur so könne man das Aroma des Schinkens voll erfassen. Die Kälte der Klinge hält die Aromen intakt, wenn das lange, scharfe Messer durchs Fleisch fährt. Fabio Viani macht daraus fast eine Wissenschaft. Der Schinken wird in einen Schraubstock gespannt, der ihn fixiert. Wo der Knochen aus dem Schinken herausragt wird das Messer angesetzt. Es geht um den Knochen herum, nicht zu tief, nur einen Finger breit. Vor dem Genuss wird der noch vorhandene Schmalz und der Pfeffer entfernt. Nur dort, wo er dann in dünne Scheiben geschnitten werden soll. Zwar haben viele ihre persönliche Vorliebe, aber nicht nur Fabio Viani bevorzugt den „italienischen Schnitt“, bei dem lange dünne Scheiben am Stück abgeschnitten werden. So gibt es ein organoleptisches Erlebnis, denn wie seine Werke an der Wand ist das Schneiden eines Schinkens kein Handwerk - sondern echte Kunst.

Meist genießt man ihn – wie bei dieser Verkostung - mit etwas Brot, Käse und Wein, aber auch als Vorspeise mit Melone oder auf Sandwiches ist er ein vielseitiger und beliebter Bestandteil der toskanischen Küche. Ein echtes kulinarisches Juwel der Toskana. Handwerkskunst, Geschmack und historische Erbe machen ihn zu einem unverzichtbaren Bestandteil der toskanischen Gastronomie. Man sollte ihn bei einem Besuch unbedingt probieren.

(c) Michael Ritter

(c) Connaisseur & Gourmet 2021