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Gute Alternative zu Parma: Prosciutto Toscano

In der Schinkenkammer

(c) Michael Ritter

Die Zeiten sind zwar schon etwas länger her, dass die deutschen Verbraucher nur Parma-Schinken kannten, wenn es um Schinkenspezialitäten von der Appenin-Halbinsel geht, aber er ist mit fast 8 Millionen Schinken nach wie vor Italiens Platzhirsch an der Wursttheke. Zu Recht, denn man hat ihm strenge Regeln auferlegt, woher das Fleisch stammen und wie es zum Parma-Schinken heranreifen darf. Natürlich gilt der Parmaschinken weiterhin als primus inter pares, aber auch in den anderen italienischen Regionen gibt es sehr attraktive Konkurrenten: wie zum Beispiel in der Toskana den Prosciutto Toscano, ein luftgetrockneter Schinken, der auch dort seit Jahrhunderten nach überlieferten Verfahren hergestellt wird.

Prosciutto Toscano DOP

(c) Michael Ritter

DER PROSCIUTTO TOSCANO DOP

Aufgenschnittener Schinken

CC0 Pixabay

Die Tradition stammt von den Bauern, die im Winter ihre sorgfältig gemästeten Schweine schlachten. Ihr Wissen haben sie dann seit dem 15. Jahrhundert von Generation zu Generation weitergegeben und heute wird das Ergebnis als Prosciutto Toscano DOP geschützt und den Feinschmeckern Italiens und der Welt präsentiert. Der Schinken stammt von Schweinen, die aus der Toskana und fünf Regionen rundum stammen und dort auch aufgezogen, gemästet und geschlachtet wurden.

Man spürt bei Verkostungen die feinen Unterschiede zwischen den Schinken der einzelnen Regionen. Beim Prosciutto Toscano fallen diese recht deutlich aus, denn seine dunkle Farbe und die fast rosa schimmernde Fettschicht verleihen ihm ein unverwechselbares Aussehen und sein intensiv würziger Geschmack und das duftende Aroma sind charakteristisch für seine toskanische Heimat. Viele seiner Freunde finden ihn köstlich und auch ästhetisch ansprechend.

Gerade komme ich wieder zurück von einem Besuch bei einem seiner größeren Hersteller: dem Salumificio Viani, der übrigens nichts mit dem Feinkost-Großhändler aus Göttingen zu tun hat, der Gastronomie, Feinkostläden und Endverbraucher mit Leckereien aus Italien versorgt.

Schweinchen vor dem Eingang

(c) Michael Ritter

In der Schinkekammer

Auf der Website und im Werbefilm lockt das mittelalterliche San Gimignano mit hohen Geschlechtertürmen, aber davon bekommt man im Ortsteil Ulignano im Tal der Elsa nichts zu sehen, denn die Fabrik steht in einem Industriegebiet, fernab von dem mittelalterlichen Flair der Kleinstadt mit ihren engen Gassen. Vor der Tür empfängt mich die Skulptur eines kleinen weißen Schweinchens, dass ziemlich deutlich zeigt, womit man sich hier am liebsten beschäftigt.

Als das Unternehmen 1922 von Sollecito Viani gegründet wurde, rechnete er wohl noch nicht damit, dass sich der einfache Handwerksbetrieb binnen eines Jahrhunderts zu einem der größten Fleischproduzenten der Region entwickeln würde. Sein Enkel Fabio ist heute Chef des Hauses und seit 2019 Präsident des 1990 gegründeten Konsortiums, dass sich seit der Verleihung des DOP-Siegels im Jahr 1996 um die Vermarktung und Pflege kümmert, das in 20 Betrieben hergestellt wird. 98 Prozent des Prosciutto Toscano werden in einem der Mitgliedsbetriebe hergestellt, einige Produzenten verzichten auf eine Mitgliedschaft.

Auch Fabio Viani und seine Mitbewerber haben mit den steigenden Preisen zu kämpfen, die seit Beginn des Ukraine-Kriegs Europas Wirtschaft und die Bürger belasten. Das macht sich auch beim Absatz bemerkbar. Vor Covid lag die Zahl der produzierten Schinken der Betriebe noch über 400.000 Schinken, doch bei Preissteigerungen um die 14 Prozent, mit der die gesamte Lieferkette zu kämpfen hat und durch die Inflation in Europa ist sie inzwischen gesunken. Wie auch beim Wein oder anderen Produkten sind nicht alle Schinken-Produzenten Mitglied des Konsortiums und vermarkten ihren Schinken selbständig.

Doch generell ließ der Anstieg der Rohstoffpreise die Produktion schrumpfen und schlägt bis zu den Bauern und Endverbrauchern durch. Aber auch die rund 340.000 im Jahr 2023 verkauften Markenschinken machen den Frmenchef stolz. Das sind etwa 5 Prozent der Menge an Parmaschinken. Zufrieden ist er mit dem Absatz nach Nordamerika, wohin jeder siebte der produzierten Schinken geht. Auch Deutschland ist ein guter Kunde, der vor allem aufgeschnittenen Schinken für Supermärkte und Discounter abnimmt.

Für Schinken hat Fabio Viani vor gut 10 Jahren einen eigenen Trakt mit 8.000 Quadratmetern aufgebaut, zu dem er mich erst einmal durch seine gesamte umfangreiche Salamiproduktion führt.

Die authentische Einfachheit, für die man toskanische Lebensmittel lobt, spiegelt sich auch im Schinken wider. Sonne und Wind spielten bei der Reifung stets eine Rolle, die typischen Aromen der Toskana wie Mastix und Myrte schmeckt man heraus und natürlich auch Wacholder und die diversen geheimen Zutaten in den Rezepten der einzelnen Hersteller. Die Verarbeitung respektiert in den kleinen Handwerksbetrieben den Gang der Jahreszeiten und auch Viani berücksichtigt diese in verschiedenen Reiferäumen, in denen die Schinken an hohen Regalen hängend bis zu 20 Monate lang reifen.

Mit Schmalz eingeriebener Schinken

(c) Michael Ritter

WIE WIRD AUS DER KEULE EIN PROSCIUTTO TOSCANO DOP?

Irgendwie kommt mir beim Gang durch den Betrieb ein altes Lied des Liedermachers Francesco Guccini in den Sinn: Il Vecchio e il Bambino. Es spielt in einer distoptischen Welt der nahen Zukunft, die von den Menschen zerstört wurde. Der Alte schildert darin dem kleinen Kind das einstige Leben an diesem Ort mit grünen Wiesen, Blumen, Bäumen, Obst und Gemüse. "Il rhytmo del uomo e degli stagioni" heißt es darin. Der Rhythmus des Menschen ist der der Jahreszeiten. Das war einmal. Auch bei Viani. Einst wurden die Schweine zu Winterbeginn geschlachtet und erlebten dann in der Schinkenkammer die einzelnen Jahrezeiten, bis sie dann ab dem Herbst Stück für Stück verzehrt wurden. Heute erfolgt die Schlachtung das ganze Jahr über. Dabei sucht man sorgfältig die höchstens fünf Tagen alten Keulen aus. Nur das, was den Vorschriften des Konsortiums entspricht, hat eine Chance seinen Weg in die Schinkenkammern zu finden, sonst wird es anderes verwertet. Mindestens 160 Kilogramm muss das Schwein auf die Waage bringen und darf nicht jünger als neun Monate sein.

In der Fabrik ankommen, landen die Schweinekeulen erst einmal auf dem Tisch der Zuschneider, die ihm schnell und gekonnt ihre charakteristische rundliche Form verpassen. Dabei schneiden sie einen Teil des Fettes und der Schwarten weg, um das magere Fleisch zum Teil freizulegen. So bekommen die Schinken den typischen V-förmigen Schnitt, der das Salzen erleichtert. Die Keulen haben dabei ein Gewicht von mindestens 11,8 kg.

Danach werden die Keulen trocken mit Salz, Pfeffer, Lorbeer, Rosmarin, Wacholderbeeren, Knoblauch und anderen typischen Gewürzen der Region einrgerieben, um bis zu einen Monat lang bei niedriger Temperatur in einer Kühlkammer zu lagern.

Dabei simuliert Viani die kühlen Aussentemperaturen der traditionellen Schlachtung im Winter - auch wenn gerade Sommer ist. Überhaupt spielt er in den Reifekammern die Bedingungen eingespielt, die ein traditioneller Schinken beim Bauern im Jahreslauf erleben würde. Mal kalt und feucht, mal etwas wärmer, mal angenehm sommerlich. Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Ventilation werden gradgenau geregelt. Einen Einsatz von Konservierungsstoffen verbietet das Konsortium.

Anschließend hängen die Keulen ein Vierteljahr in deisen spezielle Reife- und Lagerräumen. Anfangs recht feucht, kalt und windig, später steigt die Temperatur. Durch Temperaturschwankungen zwischen 12°C und 25°C entzieht man dem Schinken Schritt für Schritt eingelagertes Wasser. Wenn es für den Schinken Sommer wird, reduziert Fabio Viani die Luftfeuchtigkeit. Dann tasten seine Mitarbeiter die Schinken sorgfältig ab und reiben sie dick mit Schmalz ein. Wie eine Creme beim Menschen die Haut vor Austrocknung schützt, sorgt das Gemisch aus Schweineschmalz, Reismehl, Salz und Pfeffer dafür, dass dem Schinken nicht zu viel Wasser entzogen wird. Er soll weich bleiben, um richtig zu reifen. Das geschieht dann in riesigen Schinkenkammern, in denen bei Viani Schinken über- und nebeneinander an Gerüsten hängen. Stets wird auf die optimale Temperatur und Feuchtigkeit geachtet. Gegen Ende der Reifephase, die meist zwischen zehn Monaten und zwei Jahren dauert, überrüfen die Mitarbeiter den Salz- und Feuchtigkeitsgehalt der Schinken. Fabio Viani kontrolliert die Qualität gerne selbst, wenn er mit der Pferdeknochennadel im Kittel durch den Betrieb läuft.

Fabio Viani mit der Pferdeknochennadel

(c) Michael Ritter

Die Pferdeknochennadel

Die Pferdeknochennadel wird aus echten Pferdeknochen hergestellt und ist das Handwerkszeug des Prosciutto-Meisters. Mit ihr kann er den richtigen Reifegrad durch den Puntatura-Test überprüfen. Dünn, spitz und sehr porös, fängt sie schnell das Aroma des angestochenen Fleischs ein und gibt es an die erfahrene Nase des Kenners weiter. Viani sticht mit der Nadel an verschiedene Stellen im Schinken, riecht daran und hält sie auch mir unter die Nase. Ich erkenne das schöne Aroma eines reifen Schinkens und zum Glück komme ich nicht in die Verlegenheit, verdorbenes Fleisch attestieren zu müssen. Der Vorteil der handgeschnitzten Nadel, die sehr zerbrechlich ist, liegt darin, dass man sie ohne Reinigung sofort wiederverwenden kann. So ist das Überprüfen für den Kenner ein Kinderspiel. Gewaschen wird sie nie, nur ab und zu am Kittel abgewischt. Auch bei der finalen Kontrolle auf Geruch und Trockenheit durch unabhängige Prüfer, die den Schinken nach mehrfachem Pikieren zum Verkauf und zum Aufbrennen der Brandmarke freigeben, kommt die Nadel zum Einsatz. Getestet wird die Intensität des Dufts des mageren Fleischs und die Süße des Fetts. Das Fleisch sollte einen leichten Duft nach Trockenfrüchten, Haselnuss, Holz und Salz aufweisen, das Fett süß duften.

Brandzeichen

(c) Consorzio del Prosciutto Toscano DOP

Das Branding

Die Brandmarke, die den Schinken dann eingebrannt wird, zeigt das Profil der Toskana, vier Sterne und den Schriftzug Prosciutto Toscano DOP. Zum Abschluss gibt es Pfeffer, schwarzen Pfeffer, der reichlich auf dem Fleisch des Schinkens verteilt wird. Er ist charakteristisch für den toskanischen DOP-Schinken. Früher verhinderte er den Befall von Insekten. Er ist in den Monaten leichter geworden und wiegt nur noch 7,5 bis 9,5 kg, je nach Dauer der Reife und Anfangsgröße. Gut ein Drittel seines Anfangsgewichts ist verdunstet - der toskansiche "Angels Share".

Prosciutto Toscano zur Verkostung

(c) Michael Ritter

Verkostung

In Fabio Vianis Büro fallen die phantasievollen Kunstwerke an den Wänden auf, die er selbst aus nicht mehr genutzten Werkzeugen und Gegenständen hergestellt hat. Einige hängen auch im Verkostungsraum.

Am besten schmeckt Prosciutto Toscano DOP, da ist sich Viani sicher, wenn er nicht mit der Maschine, sondern auf traditionelle Art mit einer kalten Klinge von Hand geschnitten wird. Nur so könne man das Aroma des Schinkens voll erfassen. Die Kälte der Klinge hält die Aromen intakt, wenn das lange, scharfe Messer durchs Fleisch fährt. Fabio Viani macht daraus fast eine Wissenschaft. Der Schinken wird in einen Schraubstock gespannt, der ihn fixiert. Wo der Knochen aus dem Schinken herausragt wird das Messer angesetzt. Es geht um den Knochen herum, nicht zu tief, nur einen Finger breit. Vor dem Genuss wird der noch vorhandene Schmalz und der Pfeffer entfernt. Nur dort, wo er dann in dünne Scheiben geschnitten werden soll. Zwar haben viele ihre persönliche Vorliebe, aber nicht nur Fabio Viani bevorzugt den „italienischen Schnitt“, bei dem lange dünne Scheiben am Stück abgeschnitten werden. So gibt es ein organoleptisches Erlebnis, denn wie seine Werke an der Wand ist das Schneiden eines Schinkens kein Handwerk - sondern echte Kunst.

Meist genießt man ihn – wie bei dieser Verkostung - mit etwas Brot, Käse und Wein, aber auch als Vorspeise mit Melone oder auf Sandwiches ist er ein vielseitiger und beliebter Bestandteil der toskanischen Küche. Ein echtes kulinarisches Juwel der Toskana. Handwerkskunst, Geschmack und historische Erbe machen ihn zu einem unverzichtbaren Bestandteil der toskanischen Gastronomie. Man sollte ihn bei einem Besuch unbedingt probieren.

(c) Michael Ritter

(c) Connaisseur & Gourmet 2021