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Der Vater des Hybridreis

Schon seit mehreren Jahrzehnten besuche ich immer wieder Reisanbaugebiete in Europa. Nicht nur in Deutschland hat sich das früher zu Südzucker gehörende spanische Unternehmen Ebro Foods, einer der größten Reis- und Nudelproduzenten der Welt, den Gattungsnamen des Reis „Oryza“ als Marke schützen lassen. Meist sind es in Spanien, Frankreich und Italien nur relativ kleine Angabugebiete, denn älter als 1.000 Jahre ist der Reisanbau in Europa nicht. Die Mauren hatten ihn bei ihrer Eroberung der Iberischen Halbinsel mitgebracht und noch heute kann man im Mündungsgebiet des Ebro ihre Wassersysteme bewundern, die zur Bewässerung der Felder nahe der Mittelmeerküste dienten. Im 15. Jahrhundert kam der Reis dann auch in die norditalienische Po-Ebene, wo das bedeutendste europäische Anbaugebiet liegt. Neben kleineren Anbauflächen im Ebrodelta, der Albufera bei Valencia und um Murcia, in Portugal, in der Schweiz, in Ungarn, Nordgriechenland und der französischen Camargue kann man den Anbau bei uns vernachlässigen. Er beträgt nicht einmal 5 Prozent der Weltproduktion.

Ganz anders sieht die Situation in Asien aus. Dort ist Reis ein Grundnahrungsmittel und damit die Nahrungsgrundlage eines großen Teils der Weltbevölkerung. Nur Zuckerrohr, Mais und Weizen erreichen größere Produktionsmengen, wobei Mais meist für die Fütterung der Tiere verwendet wird.

Bei einem Besuch in China hatte ich die Gelegenheit vor einigen Jahren in Changsha ein Interview mit Yuan Longpin zu führen. Der 2021 verstorbene Yuan war damals Generaldirektor des dortigen China National Hybrid Rice Centers. Nein, mit den europäischen Reissorten habe er keine Probleme, sagte er mir lächelnd, als ich ihn darauf ansprach. Es zeigte sich vielmehr, dass er die bei uns sehr beliebten Reissorten aus Norditalien sehr schätzt und auch von den dortigen er Reisgerichten angetan war. Doch sein Problem als Wissenschaftler bei der Entwicklung des optimalen Reis war ein anderes. Als junger Mann erlebte der studierte Agrarwissenschaftler die Große Chinesische Hungersnot. Schuld daran waren nicht Missernten aus klimatischen Gründen, sondern Mao Tsedongs sogenannter Großer Sprung nach vorn. Damit wollte die Kommunistische Partei die drei großen Unterschiede Land und Stadt, Kopf und Hand sowie Industrie und Landwirtschaft einebnen und den Rückstand zum Westen aufholen. Die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft belastete die Bauern und führte zur großen Migration vom Land in die Städte. Durch massiv sinkende landwirtschaftliche Erträge verhungerten bis 1961, als man den Plan endlich abbrach, bis zu 55 Millionen Chinesen.

Yuan Longpin konnte damals nur wenig tun, um den Menschen in der Provinz Hunan, entscheidend zu helfen. „Es gab nichts mehr auf dem Feld, weil die hungrigen Menschen alles Essbare mitgenommen haben, was sie finden konnten. Sie essen Gras, Samen, Farnwurzeln oder im äußersten Fall sogar weißen Lehm“ erzählte er. Erste Versuche Yuans, Süßkartoffeln und Weizen zu verbessern, um die Hungersnot zu lindern, scheiterten, da die Süßkartoffel in Südchina nie Teil der Ernährung war (obwohl er Süßkartoffeln mit einem Gewicht von bis zu 8 kg kreuzte) und Weizen in der Gegend schlecht wuchs. So wandte er sich dem Reis zu. Mit Erfolg.

Ganz neu war die Idee des Hybridreis nicht. Schon ein halbes Jahrhundert zuvor hatte ein US-Genetiker Experimente mit Mais durchgeführt und gemerkt, dass eine Kreuzung Vitalität und Produktivität erhöht. Auch bei Hirse brachte das so entdeckten Konzept der Heterosis in den 1950er Jahren bei der Kreuzung zweier Rassen in Afrika hochproduktives Saatguts. Yuan verfolgte diese Forschung aufmerksam, doch da es bei den untersuchten Getreidesorten meist Fremdbestäubung war, konnte er sie nicht auf den selbstbestäubenden Reis übertragen. Wie beim ebenfalls selbstbestäubenden Weizen war eine langfristige Selektion durch die Natur wie den Menschen notwendig.

In China lehrte man damals zwar die Vererbungstheorie Mendels und Morgans, die auf dem Konzept von Genen und Allelen basiert, maß allerdings der Auffassung der Sowjets Mitschurin und Lysenko große Bedeutung zu, dass sich Organismen im Laufe ihres Lebens verändern, sich an Veränderungen der Umwelt anzupassen und an ihre Nachkommen vererben. Der Vorzug im kommunistischen China galt - naheliegend - der sowjetischen Position. Yuan blieb beiden Theorien gegenüber skeptisch und begann eigene Experimente, denn er war nie Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas, da er sich selbst als zu freigeistig und undiszipliniert dafür betrachtete.

Anfang der 1970er Jahre gelang ihm und seinem Team dann der Durchbruch beim Reis, als er an einer Bahnlinie einen Wildreis fand, der gute Ergebnisse zeigte. Im Rahmen der Grünen Revolution züchtete er und sein Team daraus spezielle Hochertrags-Reissorten, mit denen der Ernte-Ertrag deutlich auf rund das Doppelte gesteigert werden konnte. In China nennt man ihn seitdem „Vater des Hybridreises“. Nach wie vor stammt der Großteil des in China angebauten Reis aus dem Forschungslabor in Changsha. Neben China bietet er seitdem auch In Dutzenden von Ländern Afrikas, Amerikas und Asiens eine robuste Nahrungsquelle in Gebieten mit hohem Hungerrisiko.

Die Amerikaner erkannten das Potenzial und führten 1979 Yuans Methode in die USA ein. Es war der erste Fall eines Transfers von geistigen Eigentum in der Geschichte der Volksrepublik China. Statistiken der Vereinten Nationen zeigen, dass ein Fünftel der weltweiten Reisproduktion von 10 Prozent der weltweiten Reisfelder stammt auf denen Hybridreis angebaut wird. Yuan wurde dafür mit dem World Food Award ausgezeichnet.

Bei unserem Gespräch war der alte Mann von seinen Ergebnissen noch immer ganz begeistert. So groß wie Erdnüsse könnten die Reiskörner werden, sagte er mir, als er mich verabschiedete. Im Foyer des Instituts steht eine große Skulptur, die Yuan Longpin liegend in einem Reisfeld zeigt, inmitten von Reishalmen mit Rispen voller riesiger Reiskörner.

Eine wundervolle Möglichkeit, den Hunger zu bekämpfen und viele Menschen zu ernähren. Und doch bleibe ich persönlich gerne bei meiner Vorliebe, dem Carnaroli aus der Po-Ebene. Möglicherweise würde mir Yuan zustimmen. Fragen kann ich ihn nicht mehr. 2021 starb er 90-jährig in Changsha.

© Michael Ritter

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