Gorgona - Zur Weinprobe auf die Gefängnisinsel
DER GRAF AUF DER GEFANGENENINSEL
Nein – es ist nicht der Graf von Montecristo! Montecristo ist eine andere der Inseln des Toskanischen Archipels, die Alexandre Dumas für seine berühmte Geschichte inspirierte, die aber auf der französischen Gefängnisinsel Château d’If vor Marseille spielt. Keine dieser beiden Inseln ist heute noch ein Kerker: Château d’If mauserte sich zur Touristenattraktion und Montecristo steht völlig unter Naturschutz. |
Zum Glück sind wir keine Touristen, sondern Gäste Lamberto Frescobaldis, der neben Mitgliedern seiner Familie eine kleine Gruppe internationaler Journalisten auf die Insel eingeladen hat. Die meisten der knapp 300 Einwohner der nur etwas mehr als zwei Quadratkilometer großen Insel wohnen im Straflager und dessen Nebengebäuden. |
DIE ZAHL DER TOURISTEN IST SEHR BEGRENZT
In der Regel dürfen Touristen nur im Sommer in kleinen Gruppen am Dienstag auf die Insel kommen und werden dann von einem Patrouillenboot der Gefängnisverwaltung abgeholt. Dafür benötigt die Gefängnisdirektion schon zwei Wochen zuvor die Personalien der Besucher. Vorbestrafte, Freigänger oder „polizeibekannten“ Personen haben schlechte Chancen auf einen Besuch. Die Anzahl der Besucher pro Jahr ist entsprechend begrenzt. |
Wahrscheinlich hatten sich schon die Etrusker auf der Insel angesiedelt, sicher aber die Römer. Später lebten Eremiten und Mönche dort und errichteten kleine Klöster. Nach den Pisanern, die im Mittelalter den Torre Vecchia errichteten, kam die Insel in den Besitz der Medici, die Gorgona befestigten und die Certosini. Auch der in der Habsburgischen Sekondogenitur herrschende toskanische Großherzog Pietro Leopoldo, zu dessen Kaiserkrönung Mozart später La Clemenza di Tito komponieren sollte, baute die Insel aus. Ab 1869 wurde sie zu einer landwirtschaftlichen Strafkolonie in der sich die Gefangenen tagsüber frei bewegen können. |
DER WEINBAU AUF GORGONA
Auch wir müssen wandern, denn die Dienstwagen der Gefängnisverwaltung sind nicht für Gäste vorgesehen. Ohne Kletterei in der sommerlichen Hitze ist der kleine Weinberg der Insel nicht zu erreichen. Schatten findet man nur im unteren Dorf am Hafen, wo heute nur noch eine alte Dame dauerhaft lebt, dann windet sich die Straße nach oben. Weinbau ist jetzt der wichtigste Erwerbszweig der Insel. |
Also schrieb die damalige Direktorin Maria Grazia Giampiccolo einen Bittbrief an Weingüter in und um Livorno, der Stadt, zu der die Gefängnisinsel gehört, und bat sie um Hilfe. Die meisten Winzer schauten sich wahrscheinlich nur die „Größe“ des Weinbergs an (ein Hektar) und dessen Lage (34 Kilometer vor der Küste). Bei all den zu erwartenden Komplikationen konnte man es ihnen kaum verübeln, dass sie das Schreiben von Frau Giampiccolo in den Papierkorb beförderten. Auch beim Weingut Costa di Nugola wäre das wohl passiert, hätte nicht an diesen Tagen dessen oberster Dienstherr Lamberto Frescobaldi, der umtriebige Präsident der Frescobaldi-Gruppe, seinen Besuch angesagt. Lamberto reagierte prompt, erkannte das Potenzial und rief umgehend Nicolò D'Afflitto, den Chef der Produktion seines Wein-Konzerns an. Gemeinsam machten sie einen Termin auf der Insel, sahen sich die Ausgangslage an und überlegten, wie man daraus etwas Vernünftiges machen konnte. |
Empfang auf Gorgona
(c) Michael Ritter Antonio Fullone, Chef der Gefängnisse in der Toskana und Umbrien (2. von links), Santina Savoca, Leiterin des Gefängnisses Gorgona (3. von rechts), Lamberto Frescobaldi (2. von rechts)
FRESCOBALDOS PROJEKT GORGONA
Kurze Zeit später, im August 2012 war das Projekt Gorgona zwischen Frescobaldi und Gorgona, der einzigen noch verbleibende Gefängnisinsel Europas, geboren. Auf der Insel verbringen Häftlinge nach guter Führung in einem der Gefängnisse auf dem Festland den letzten Teil ihrer Freiheitsstrafe, arbeiten, leben in der Natur und erhalten so die Möglichkeit, sich wieder in die Gesellschaft und das Berufsleben einzugliedern. |
Nach der Gärphase werden die Barriques mit dem jungen Wein in Frescobaldis Weingut Rèmole verschifft, wo sie gegebenenfalls verschnitten und abgefüllt werden. |
DER GORGONA 2017 COSTA TOSCANA IGT
Bei einer Verkostung konnten wir den neuen Gorgona 2017 Costa Toscana IGT probieren, von dem im September 2018 rund 4.000 Flaschen auf den Markt kommen - zum stolzen Preis von rund 80 €. Lamberto Frescobaldi öffnet eine Magnumflasche mit dem gelben Wachsverschluss. "Eine Insel der Schmerzen - ein Wein der Hoffnung!" sagte er, als er die ersten Gläser selbst ausschenkt, die wir zum Büffet mit hochsommerlich leichten Salaten, frischem Käse und Wurst verkosten dürfen. Von Kopf bis Fuß Aristokrat, trägt er trotz der anstrengenden Tour über die Insel Hemd und Jackett. Das Design auf dem Label des Gorgona stammt jedes Jahr aus der Feder von Simonetta Doni, einer der Großen im internationalen Geschäft der Weinetiketten, die für viele der führenden Italienischen Weingüter arbeitet. Auch für sie ist die Arbeit für Frescobaldis Gorgona-Projekt ein Pro bono Auftrag. Jedes Jahr nimmt Simonetta eine Besonderheit der Insel. Dieses Mal ist es die Fauna mit ihren perfekt akklimatisierten wilden Hasen, Wanderfalken und den Königsmöwen, die Gorgona zum Nisten aufsuchen. |
Auf Gorgona war das Jahr 2017 arm an Regen und die Temperaturen waren höher als üblich, obwohl sie vom Meer abgemildert wurden. Die Trauben konnten dabei perfekt bis zur sehr selektiven Lese Anfang September ausreifen. |
LAUDEMIO - FRESCOBALDIS OLIVENÖL
Neben dem Weinbau Frescobaldis gibt es auch einen Obst- und Gemüseanbau auf der Insel, mit der „Bianca di Gorgona“ existiert sogar eine autochthone Olivenart. Auf der Insel trafen wir Matteo Frescobaldi, der nach einem internationalen Wirtschaftsstudium und einigen Jahren Erfahrung in anderen Unternehmen erst kürzlich ins Unternehmen seiner Familie eingetreten ist und sich dort für das Olivenöl einsetzt. „Laudemio“ – so nannte man in den früheren Zeiten der Halbpacht den besten Teil der Olivenernte, der für den Herrn und Grundbesitzers bestimmt war. Seit 1986 ist es der Name eines heute von seiner Verwandten Diana Frescobaldi geleiteten Konsortiums, das zur Überwachung der Qualität des Olivenöls gegründet wurde und die Einhaltung bestimmter restriktiver Regeln kontrolliert. |
Diese besagen, dass die Oliven von Hand geerntet und innerhalb von 24 Stunden gepresst werden. Rund 300 Hektar Olivenhaine, erzählt Matteo, gehören heute der Familie und nur die besten Oliven würden als Laudemio Frescobaldi verkauft. Gerade hat es von Slow Food die Auszeichnung als Grande Olio 2018 erhalten. |
DIE GEFANGENEN UND DER WEIN
Zwar hat in den vergangenen Jahren Lamberto Frescobaldi keinen Gewinn auf der Insel erwirtschaftet, das ihm pro Jahr rund 100.000 Euro kostet, da er alle Einkünfte aus dem Wein in die Miete, die Löhne und die weitere Verbesserung der Ausrüstung steckt, doch hat er dabei viel gelernt, wie er mir beim gemeinsamen Abendessen an Vortag in Livorno verrät. Meist sind die von der Gefängnisleitung und ihm ausgesuchten Gefangenen nicht lange für das Unternehmen tätig, doch ist es für viele die wohl lukrativste Verdienstmöglichkeit seit Jahren. 1.200 Euro bekommen sie monatlich, soviel wie andere Feldarbeiter in seinem Unternehmen. Kein königliches Gehalt, doch fairer Lohn für ihre Arbeit, denn für viele der anderen Jobs spürt man die Kürzungen des staatlichen Budgets, die dazu führt, dass die Gefangenen nur für zwei bis drei Stunden täglich bezahlt werden, obwohl sie den ganzen Tag über beschäftigt sein sollen. Das gefährdet die positive Wirkung, denn eigentlich sollen die Gefangenen aus der Insel an ein normales Arbeitsleben herangeführt werden. |
„Darauf packte mich der Mann fest am Unterarm, schaute mir tief in die Augen und fragte, ob der Wein schlecht sei. „Nein!“ sagte ich, obwohl der Wein damals wirklich noch nicht gut war. Er fragte mich, warum ich den Wein dann ausgespuckt habe. Also erklärte ich ihm den Unterschied zwischen „verkosten“ und „trinken“. Mit einem freundschaftlichen „Ich glaube, wir müssen noch eine Menge lernen“ entließ ihn der Kellermeister aus dem festen Griff. |
PROMINENTE MORDFÄLLE UND IHRE TÄTER
Zwar sollen wir bei Gesprächen die Gefangenen nicht auf die Taten ansprechen, doch einige reden ganz freiwillig. Lamberto Frescobaldi hat so viel von ihnen erfahren. Zum Beispiel von Benedetto, der zwei Jahre sein Kellermeister auf Gorgona war. Dessen Name sagte ihn zwar nichts, aber seine Tat war 1995 weltweit Tagesgespräch, nicht nur in der verschlossenen Florentiner High Society. Die extravagante Exfrau des Modeunternehmers Maurizio Gucci, der man in den beiden vor dem Mord liegenden Jahren wegen ihrer Vorliebe für Schmuck und auffällige Kleider in Italien den Spitznamen „Liz Taylor“ anhaftete, hatte, wie die Polizei ermittelte, für viel Geld den gutaussehenden Sizilianer angeheuert. Er sollte ihren Ex erschießen, denn nach der Trennung des Paares hatte es einen Rosenkrieg gegeben. Immer ging es dabei um Geld. Wie Frescobaldi zählt auch Gucci zu einer der führenden Luxusmarken mit Florentiner Ursprung. Maurizio Gucci hatte gerade das von seinem Opa gegründete Modehaus für viel Geld verkauft. Für den vom Lande stammende Benedetto war der Mordauftrag verlockend, versprach seiner Erledigung ein Leben in Wohlstand. Er konnte wohl nicht widerstehen, wie das Gericht anhand von Indizien feststellte und ihn zu lebenslanger Haft verurteilte – obwohl Benedetto die Tat stets leugnete. |
Auch die so genannte „schwarze Witwe“, sagte nicht aus und wurde verurteilt. Nach 16 von 26 Jahre Haft wurde sie 2017 vorzeitig entlassen. „Immerhin erhält sie das Erbe“, bemerkt Lamberto bitter. Man spricht von rund einer Million Euro pro Jahr. „So ist das Recht in Italien.“ |
(c) Connaisseur & Gourmet 2021