Usedom – Hochkultur in der Gedenkstätte
Gut, der Sommer ist kalendarisch in diesen Tagen gelaufen, doch nach wie vor lockt die strahlende Sonne zahlreiche Gäste auf die idyllische Ostseeinsel im Nordosten Deutschlands. Neben guten Wetter hat die Insel auch für Kulturfreunde einiges zu bieten – zum Beispiel das Usedomer Musikfestival. Dafür haben die Organisatoren rund um Intendant Thomas Hummel nicht nur in den glanzvollen Kaiserbädern mit ihrer beeindruckenden Bäderarchitektur einen bunten Strauß hochkarätig besetzter Musikveranstaltungen organisiert, sondern auch einige architektonische Highlights der Insel als Veranstaltungsorte eingebunden, wie das Turbinenhaus der einstigen V2-Raketenforschungsanstalt Peenemünde, Schloss Stolpe oder die malerische Landkirche von Liepe. |
St. Moritz ist dafür ein gutes Beispiel. Ein Großteil der Hotels in dem Engadiner Ferienort ist nur im Sommer und im Winter geöffnet und ein Großteil der zahlungskräftigen Klienten beschränkt seinen Besuch auf eine recht kurze Zeitspanne im Winter. Da ist es schwierig, Sterneköche auf Dauer zu halten. Manche Hotelketten wie die Schweizer Giardino-Hotels, die auch ein Hotel in Ascona betreiben, das den Rest des Jahres gut besucht ist, schicken ihren gesamte Küchenmannschaft rund um Rolf Fliegauf während der Wintertage in die Berge. Andere, wie das edle Kulm Hotel St. Moritz oder das Carlton haben Sterneköche oder deren Küchenteams während der winterlichen Hochphase zu Gast. |
PEENEMÜNDE HEERESVERSUCHSANSTALT UND WIEGE DER V2
Unser erstes Ziel auf der Insel ist Peenemünde. Schon kurz nachdem der Bummelzug Zinnowitz verlassen hat, erreichen wir die Außenzonen der einst 25 Quadratkilometer großen ehemaligen Heeresversuchsanstalten. Von 1936 bis zum Kriegsende war es Europas größte militärische Forschungszentrum. Bis zu 12.000 Menschen arbeiteten dort gleichzeitig unter deren technischen Direktor Wernher von Braun an neuartigen Waffensystemen, wie dem ersten Marschflugkörper der Welt und der ersten funktionierenden Großrakete. Nur linientreue Ingenieure und kontrollierende Wehrmacht wohnte komfortabel im benachbarten Karlshagen, die harte Arbeit erledigten Zwangsarbeiter aus dem Kriegsgefangenen-Lager und dem KZ-Außenlager. |
Eindrucksvoll ragt am Peenemünder Hafen der Bau des Kraftwerks mit seiner riesigen Turbinenhalle empor. Das monumentale Steinkohle- Kraftwerk erinnert mit seinem kubischen Bau mit dunkler Klinkerfassade an frühere große Kraftwerksbauten. Durch die Nähe zum Hafen konnte Kohle effizient über eine Förderbahn ins Kraftwerk gebracht werden und auch Kühlwasser stand aus der Peene direkt zur Verfügung und hielt über die Abwasser-Rückleitung den Hafen im Winter eisfrei. Damals war es das modernste Kohlekraftwerke Deutschlands, weshalb es die Sowjets nicht zerstörten, sondern weiterhin nutzten. So blieb es als Gesamtkomplex fast vollständig erhalten. |
DAS USEDOMER MUSIKFESTIVAL
Wir sind dorthin zum Eröffnungskonzert des diesjährigen Usedomer Musikfestivals in der Turbinenhalle angereist. „Göttliche Geometrie” heißt das neue Programm des Baltic Sea Philharmonic und sucht Symmetrie von Vergangenheit und Gegenwart mit Komponisten, die in ihrer Epoche Großes geleistet haben: Bach und Händel als musikalische Hauptfiguren eines hanseatischen Nordens, Reich und Glass als Klassiker des amerikanischen Minimalismus. Ein ziemlicher Kontrast. |
Eine ziemliche Herausforderung, die aber gelang und beim Publikum – zum Beispiel beim Rheingau Musikfestival – sehr gut ankam. „Seitdem“, sagt Järvi, „spielen wir das gesamte Programm auf diese Weise. Wir sind zusammen Teil eines einzigen großen Gehirns“. Die Flexiblität, die auch das unkomplizierte Auf und Ab der Musiker auf der Bühne ermöglicht, macht zusammen mit der Architektur der Halle, den Einklang von Klang und Licht zu einem wahrhaft außergewöhnlichen Erlebnis. |
DER BILDUNGSAUFTRAG: DAS OSTSEE-MUSIKFORUM
Auch die Bildungsarbeit kommt beim Usedomer Musikfestival nicht zu kurz. Mit Klaviertrios und der Uraufführung der Sonate für Cello und Klavier des Esten Jüri Reinvere hatte man drei Ostseeländer beim Ostsee-Musikforum vereint, das im eleganten gräflichen Salon auf Schloss Stolpe brillierte. Primus inter pares im Zusammenspiel mit der Geigerin Erika Geldsetzer und dem Pianisten Ian Fountain war dabei der litauische Meistercellist David Geringas, dem Reinvere die Musik förmlich in die Finger schrieb. Daneben waren Tschaikowskys tiefempfundene Huldigung auf seinen früh verstorbenen Förderer Nikolaj Rubinstein und ein Trio von Clara Schumann zu hören, deren Geburtstag sich nur wenige Tage zuvor zum 200ten Mal jährte. |
Es stellt mit dem Abschlusskonzert ein außergewöhnliches Podium für eine konzentrierte Arbeit mit renommierten Künstlern und Programmen, die sich eng am Programm des Usedomer Musikfestivals anlehnen. David Geringas zählt zur Musiker-Elite der Gegenwart und beeindruckt durch sein ungewöhnlich breites Repertoire vom frühesten Barock bis zur zeitgenössischen Musik. Flexibilität und Neugier verbindet sich dabei mit intellektueller Strenge, stilistischer Vielseitigkeit, melodischem Sentiment und Klangsinnlichkeit, die den Rostropovich Schüler und Sieger des Tschaikowsky-Wettbewerbs viele Preise und Anerkennung einbrachten und einbringen. Neben seiner Arbeit als Cellist ist er auch als Dirigent tätig und ist seit Jahren regelmäßiger Gast beim Usedomer Musikfestival, wo er sein Können zeigt und an den Nachwuchs weitergibt. |
MUSIKALISCHE INSELRUNDFAHRT
Eine erstklassige Chance die Insel kennenzulernen, die deshalb von Einheimischen wie Gästen gerne genutzt wird, ist die musikalische Inselrundfahrt. Die Insel Usedom bezaubert neben Meeresstrand und schönen Villen auch mit Seen, Wäldern, Schlössern und zahlreiche Kirchen, deren reizvolle Orgeln auf dieser Reise zum Klingen gebracht wurden. Der Leipziger Organist Johannes Gebhardt begleitete den stimmungsvollen Ausflug mit kleinen Konzerten in Ahlbeck, dem polnischen Swinemünde, Liepe und auf Schloss Stolpe, nur unterbrochen von der Mittagspause im schönen Wasserschloss Mellenthin. Den zwischen 1575 und 1580 errichteten Bau im Zentrum der Insel hat 2001 der aus NRW stammende Jan Fidora übernommen, der neben einem hübschen Hotel auch ein gut besuchtes Café und Restaurant betreibt. Vor einiger Zeit kam eine eigene Brauerei (Fidora hat das Handwerk gelernt) und eine Kaffeerösterei hinzu. Spezialität: Cannabis-Bier. So beschwingt konnten die Gäste die musikalischen, architektonischen und landschaftlichen Reize der Insel noch besser genießen und in wenigen Stunden kennenlernen – oder alte Bekanntschaften vertiefen. |
In diesem Jahr stellt das Usedomer Musikfestival erstmals Deutschland und seine Musik in den Mittelpunkt. Bis zum 12. Oktober sind auf der Insel rund 40 Konzerte geplant. Erwartet werden Künstler wie der Bariton Matthias Goerne und Musicalstar Ute Lemper, die ihre New Yorker Broadway-Show auf den Spuren von Marlene Dietrich nach Heringsdorf bringt. Neben dem auf Usedom gegründeten Orchester Baltic Sea Philharmonic kommen renommierte Ensembles wie der Rias Kammerchor und das NDR Elbphilharmonie Orchester. Spielorte sind auf dem deutschen und dem polnischen Teil der Insel sind neben dem Kraftwerk Peenemünde vor allem Schlösser, Kirchen und Hotels, der Kaiserbädersaal in Heringsdorf und der Lokschuppen der Usedomer Bäderbahn. Für etliche der bis zum 12. Oktober stattfindenden hochkarätig besetzten Konzerte und Veranstaltungen sind noch Restkarten erhältlich. |
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