Auf kulinarischer Kohltour unterwegs im Nordwesten
Reinhard Lührimg und seine Grünkohl-Zucht
(c) Michael Ritter
Oldenburg Zu Gast in Deutschland Kohltour-Haupts
Christoph Hahn konnte sich in der NDR Talk Show vor ein paar Tagen ganz gut gegen Hubertus Meyer-Burkhardt als Fragensteller behaupten. Mit seinem Spezialgebiet war der promovierte Biologe, der voller Begeisterung über Palmen redete, in der Schauspielerrunde eine Besonderheit. Hahn möchte seine Palmen künftig stärker unter die Menschen bringen. Um genau zu sein, handelt es sich dabei um eine eigene Züchtung, die er an der Universität Oldenburg neben seiner Promotion entwickelt hat: die Oldenburger Palme. Palmen an der Nordseegeest? Wenn da jemand die Augen weit aufreißt, darf man sich nicht wundern, aber tatsächlich spricht man in Norddeutschland gerne von Palmen, wenn man Grünkohl meint. "Im Schatten der "Ostfriesischen Palme" können wir zwar nicht unter südlicher Sonne lustwandeln, aber dafür erfreut uns ihr Grün den ganzen Winter hindurch" hatte Reinhard Lühring gesagt, den ich ein paar Wochen zuvor auf seinem Dreschflegel-Saatgut-Hof im ostfriesischen Schatteburg besucht habe. Palme passt von Größe und Aussehen ganz gut, denn mit mannhoher Wuchshöhe schießt er ganz heftig in die Höhe und entfaltet oben sein Blattwerk. Einst wegen ihrer großen Bedeutung für die Ernährung hochgelobt, ist die Ostfriesische Palme inzwischen fast in Vergessenheit geraten. Das möchte Lühring verhindern und hat in Christoph Hahn einen aktiven und wortgewaltigen Mitstreiter gefunden. |
Das ich der Region Unrecht getan habe, zeigte sich im Laufe meines kurzen Besuchs, bei dem ich mich über eine der Spezialitäten erkundigen wollte, die so eng mit der Region um Oldenburg verbunden ist, dass mir jetzt beim Besuch im Supermarkt immer wieder direkt ins Auge springt: Oldenburger Grünkohl. |
Grünkohl-Pralinen auf Grünkohl
(c) Michael Ritter
Auf Kohltour durch Oldenburg
Dort liegt auch kein erstes Ziel meiner kurzen Reise: das Ols-Brauhaus am Hafen. Das Lieblingsbier der Stadt ist das herbe Jever Pilsener aus dem 50 km nördlich gelegenen Jever mit seinem Pilsner, nachdem nach dem Ersten Weltkrieg nach und nach alle traditionellen Brauereien von Großbrauereien übernommen und später geschlossen wurden. Der Trend zum Craft Beer hat aber 2010 in der Universitätsstadt mit der Ols-Brauerei eine Neugründung aus dem Boden schießen lassen, die immer wieder neue Spezialitäten austüftelt. Eine davon ist der Grund meines Besuchs: Der Grüne Anton, benannt nach Graf Anton, dem einstigen Landesherrn und ein wahres Unikat, gebraut mit Grünkohl. Sehr viel mehr als drei Hektoliter gibt es nicht, genug um auf die neue Grünkohlsaison anstoßen zu können, denn die ist eine ganz besondere Zeit in der Stadt. Beim Einbrauen des Bieres hat Braumeister Josef Herzog neben den üblichen Zutaten tatsächlich Grünkohl hinzugegeben. Man schmeckt es leicht heraus, wenngleich das Bier wohl besser zum Grünkohl passt. |
Man staunt, was man alles aus Grünkohl machen kann. Hendrik Nölker hat etwas für uns vorbereitet, als wir sein Tee- und Kaffee-Geschäft Nölker & Nölker im Zentrum besuchen. Nach dem Motto „Grün und Grün verträgt sich gut“ hat er gerade einen Grünen Sencha-Tee aus China aufgegossen der ihm als Basis für die Zugabe von fünf Prozent gemahlenen Grünkohl dient. Die Kombination aus kräftigem Grünkohl und mildem Sencha passt sehr gut, um den familiären Grünkohlgenuss zelebrieren zu können wie ein echter Oldenburger. Aufgegossen werden dann rund 10 Gramm Tee für einem Liter Grünkohltee. Schon nach wenigen Minuten kann man dann das außergewöhnliche Aroma genießen. Als letzte Station auf unserem kleinen Stadtrundgang schauen wir bei den Buddel Jungs vorbei. Dort hat Frederik Prellwitz vor ein paar Jahren mit einem Partner sein Hobby zum Beruf gemacht. Der gelernte Lehrer bietet in dem kleinen Laden diverse Spirituosen aus ausgesuchten, kleineren Brennereien an. Eine Brennereien-Tour durch den Schwarzwald brachte sie auf die Idee und das Angebot in dem kleinen Laden ist immens. Natürlich darf ein Grünkohl-Schnaps nicht fehle: der Grünkohlgin „Alte Burg“. Den haben ein paar ihrer Oldenburger Altersgenossen auf der Basis eines klassischen London Dry Gin mit einem Hauch Grünkohl brennen lassen. Als Botanicals haben sie neben den Classicals die Fruchtigkeit von Orange und Heidelbeeren gewählt und ihn mit dem Grünkohl mild abgestimmt. |
Hengsforder Mühle
(c) Michael Ritter
Fahrt nach Ostfriesland
Am nächsten Morgen geht die Fahrt weiter zum bereits eingangs erwähnten Reinhard Lühring ins Fehngebiet, dass sich über das südliche Ostfriesland von der Ems bis ins Ammerland erstreckt. Man versteht darunter Moorsiedlungen entlang eines Wieken genannten Kanals. Typisch sind die weißen Klappbrücken, die historischen Fehnhäuser und die prächtigen Windmühlen, die an die nahen Niederlande denken lassen. Kleine von den Kanälen abgehende Wasserläufe prägen das einzigartige Landschaftsbild der Gegend um Leer. Wie Oldenburg liegt das gesamte Fehngebiet nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel. Eine Nachbargemeinde ist Papenburg, wo die Meyer-Werft riesige Kreuzfahrtschiffe baut werden und auch die ehemalige Teststrecke für den Transrapid liegt wenige Kilometer entfernt im Emsland. |
Manchmal, sagt er, führe er Kreuzungen unter den einzelnen Sorten durch, bei denen dann so etwas wie Christoph Hahns Oldenburger Palme entstehen kann. Mit einigen anderen Landwirten, die er zum Teil während seines Studiums im nordhessischen Witzenhausen kennengelernt hat, pflegt er traditionelle Gemüsesorten. Bei ihm ist es der Grünkohl. |
Aale im Räucherofen
(c) Michael Ritter
Lust auf Aal
Am nächsten Morgen steht die schon aus dem Spieker bekannte Aalräucherei Bruns auf dem Programm. Aalräuchern hat dort eine lange Tradition, denn schon seit Jahrhunderten fängt man im Zwischenahner Meer Aale. Es sind die geschlechtsreifen Blankaale, die es nach sechs bis zwölf Jahren wieder verließen, um mit einer Länge von bis zu 150 cm auf einer langen Reise zu ihrem Laichgebiet in der Sargassosee zurückzukehren, dort ihre Eier abzulegen und zu sterben. Seinen Namen verdankt dieser Teil des Atlantiks den Braunalgen der Gattung Sargassum, an denen die Aale bis zu 2 Millionen Eier pro Kilogramm Körpergewicht ablaichen. Manch einer nennt die Algen inzwischen „Fluch der Karibik“, da sie an den karibischen Stränden oft einen verfilzten Teppich bilden. Nicht alle geschlüpften Weidenblattlarven – so heißen sie wegen ihrer Form - überleben die rund dreijährige Wanderung mit dem Golfstrom. Einige werden dann immer noch mit Reusen gefangen, geräuchert und als Zwischenahner Smoortaal verkauft. Viele enden bereits im Kindesalter in Spanien oder verschickt nach Asien als Glasaale. In Spanien gelten Angulas mit Preisen von gut 1.000 Euro pro Kilo als eine der teuersten Delikatessen. Die wie schleimige 7 cm lange Würmer aussehenden Jung Aale werden im Baskenland gerne als Pintxos verzehrt. |
Die Spezialität der Aalräucherei Bruns sind Räucheraale, aber auch Räucherlachs, Graverd-Lachs und Stremel-Lachs sind sehr beliebt. Ihre Geburt und Kinderstube verleben die bei Bruns geräucherten Aale weiterhin auf dem Weg von der Sargassosee zu den Küsten Europas, doch statt - wie die meisten ihrer Artgenossen - an den Küsten und in den Flüssen und Gewässern langsam zu wachsen, werden sie als Kinder gefangen und landen als Glasaale in riesigen Wasserbassins, in denen sie in ein bis zwei Jahren bei 24 Grad C erst mit Fischmehl und später mit diversen Pellets gemästet und sobald sie ihr Schlachtgewicht erreicht haben, an Aalräuchereien wie Bruns verkauft. Statt in mehreren Jahren langsam zur Geschlechtsreife heranzureifen, sind die Aale aus Aquakultur nicht geschlechtsreif. Die Aal-Initiative ist wichtig, denn künstlich züchten lassen sich die Aale nicht. Die EU hat festgelegt, dass 40 Prozent des Aalbestands jedes ihrer Mitgliedsstaaten die Chance haben muss, zum Laichen in die Sargassosee ziehen zu können. Wegen des Schmuggels mit den beliebten Glasaalen klappt das nicht immer. |
Zwischenahner Meer
(c) Michael Ritter
Bad Zwischenahn und sein Meer
Nur ein paar Kilometer weiter östlich kommen wir nach Bad Zwischenahn. Es hat sich in den Jahren zu einem blühenden Paradies am drittgrößten Binnensee Niedersachsens entwickelt und lädt seine Gäste, die dort gerne zur Moor- oder Kneippkur vorbeischauen mit einem „Meer“ und einem ausgedehnten Netz an gut ausgeschilderten Wander- und Radwegen. Lange hat man im Landkreis Ammerland auf Städte verzichtet. Erst 1977 ernennte man das etwas kleinere Westerstede mit dem Sitz der Kreisverwaltung zur Stadt, während Bad Zwischenahn mit knapp 30.000 Einwohnern weiter als selbständige Gemeinde firmiert. |
Zwar wurde er durch die Tierschutz-Verordnung inzwischen verboten, aber sehr viele konventionelle Betriebe nutzen ihn noch bis diese Verordnung 2029 endlich greift. Auch das Black-Welsh-Rindfleisch vom Schwarzen Riesen, dass Henning Meyerjürgens verarbeitet, stammt direkt aus dem Ammerlandkreis. Doch zurück zum Haschenbroker-Landschwein. Die Tiere werden mit dem Duroc-Eber gekreuzt, was ein sehr zartes und aromatisches Fleisch ergibt. Die Schinken der Tiere werden nach alter Tradition trocken von Hand gesalzen. Geräuchert werden sie dann über Buchenholzfeuer im Rauch unter der Decke des historischen Ammerländer Bauernhauses im Freiluftmuseum am Meer, wo sie mindestens ein dreiviertel Jahr lang reifen, wodurch der original Ammerländer Spiekerschinken, den nur Meyerjürgens räuchert, sein unverwechselbares Aroma und diesen einzigartigen Geschmack bekommt. |
altes Ammerländer Bauernhaus
(c) Michael Ritter
(c) Connaisseur & Gourmet 2021