Ratschläge für Musik & Oper

Musikstadt Wroclaw

Der Marktplatz Rynek von Wroclaw

(c) Michael Ritter

Musikstadt Wroclaw/ Breslau

In den letzten Jahren mehren sich die Bestrebungen vieler Länder und Städte, dass ihre Heimat nicht mehr mit dem internationalen oder englischen Namen benannt wird, sondern mit den eigenen, nationalen Namen. Auch in Polen möchte man lieber den polnischen statt den uns oft vertrauteren alten deutschen Namen hören. Einen Wunsch, den wir gerne erfüllen und die Hauptstadt Niederschlesiens statt mit Breslau mit ihrem polnischen Namen Wroclaw benennen.

Blick über die Oder auf die Dominsel

(c) Michael Ritter

Herbstliches Musikffestival Wratislavia Cantans

Bronzezwerg

(c) Michael Ritter Hunderte von Zwergen bewohnen die Breslauer Innenstadt. Begonnen hatte es mit einem politischen Protest in den 80er-Jahren. Die „Orange Alternative“ trug orangene Kopfbedeckungen, die an Zwerkenmützen erinnerten. Ab 2001 entstand in Erinnerung an den erfolgreichen Zwergenaufstand mit dem Zwerg Papa der erste Bronzezwerg, dem viele weiteren folgten.

Es ist mein zweiter Besuch in der Metropole, die mit ihren 640.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Polens ist. Noch schwieriger dürfte es für viele Deutsche sein, den polnischen Namen Dolny Śląsk der Woiwodschaft, was so viel bedeutet wie ein Bundesland, korrekt auszusprechen. Schon in den 2000er Jahren stand die Musik im Mittelpunkt meiner Reise und mit dem Festival Wratislavia Cantans, einem der bedeutendsten Musikereignisse Polens, das alljährlich mit hochkarätigen Konzerten der schönsten Oratorien, Kantaten und Symphonien Einheimische und Besucher anlockt, lernte ich etliche der Konzertstätten der Stadt kennen. Die hohe Qualität polnischer und ausländischer Gäste sorgt bei den meist polnischen Festivalbesuchern für große Zustimmung.

Damals war das Konzertgeschehen sogar noch über viele weitere Aufführungsorte in und um Wroclaw verteilt, doch nachdem die Stadt 2016 zur Kulturstadt Europas gekürt wurde und mit dem neuen Nationalen Musikforum um ein paar exzellente Konzertsäle erweitert wurde, der größte davon mit fast 1800 Sitzplätzen, hat man einen Großteil der Aktivitäten des Festivals dorthin verlagert und so zählt Wroclaw heute unbestritten zu den bedeutendsten Kulturzentren des Landes.

Einst nannte man die Stadt an der Oder „Blume Europas“ du ernannte sie vor wenigen Jahren zur „Best Destination“ Europas. Trotz der mehr als 1.000 Jahre, die sie auf dem Buckel hat, ist sie jung und vital geblieben. Das liegt sicherlich auch an den mehr als 100.000 Studenten, die unübersehbar Stadtbild und Freizeitangebot prägen. Rund um den Rynek, den historischen Marktplatz, finden die zahllosen Kneipen, Klubs und Restaurants problemlos ihre Gäste.

St.- Elisabeth-Kirche mit Hänsel und Gretel

(c) Michael Ritter Die zwei winzigen Altaristenhäuser, die durch ein Bogentor verbunden sind sind der Rest eines geschlossenen Kranzes solcher Häuser, der den Kirchhof von den Straßen abschirmte. In der Nachkriegszeit nutzte man Hänsel und Gretel als Spottnament, inzwischen ist der Name offiziell.

Lebendige Altstadt rund um den Rynek

Rynek und Rathaus

(c) Michael Ritter

Das gotische Rathaus gehört zu den wichtigsten mittelalterlichen Bauten Europas. Rundherum liegt der nach Krakau zweitgrößte Marktplatz Polens. Im Rathauskeller mit seinen labyrinthartigen Räumen liegt schon seit 700 Jahren die größte Schankstube der Stadt. Früher sagte man „Wer nicht im Schweidnitzer Keller war, war nicht in Breslau“. Gäste wie Chopin und Goethe folgten diesem Rat, doch heute bietet sich auch auf dem Platz und in den engen Gassen der Altstadt vielfältige Gelegenheit zu beobachten und zu genießen, denn neben dem jungen Volk bieten auch die prachtvollen Bürgerhäuser aus Barock, Renaissance und Jugendstil schöne Ausblicke.

Doch nicht alle Teile der Stadt sind so umtriebig wie die Gassen der Altstadt zwischen Markt und der barocken Universität. Wer eine Oase der Ruhe sucht, findet diese auf der nahen Dominsel, die heute eigentlich gar keine Insel mehr ist.

Hier begann die Besiedlung der Stadt und während es am Markt und rund um die Universität von weltlichen Studentinnen nur so wimmelt, kann man rund um den Dom und die sechs anderen Kirchen der Dominsel Grüppchen von jungen Klerikern mit weißem Kollar. Vielleicht passt es in diesem klerikalen Umfeld, dass noch heute zur Dämmerung ein Laternenanzünder seine Runde dreht und sie am Morgen wieder löscht, aber oft braucht die katholische Kirche ihre eigene Zeit, um sich auf die Herausforderungen der Jetztzeit anzupassen. Auch im noch immer stark klerikal geprägten Polen dürfte dies aber zunehmend auf Widerstand der Gläubigen führen.

Auch der Dom, die Kathedrale St. Johannes des Täufers stammt aus dem Mittelalter und dient als Konzertstätte und war bis in unser Jahrtausend mit seinen fast 98 Meter hohen charakteristischen Doppeltürmen das höchste Gebäude der Stadt.

Nationales Musikforum

(c) Michael Ritter

Wratislavia Cantans 2022

Großer Saal des Nationalen Musikforums

(c) Michael Ritter

Doch zurück zu Wratislavia Cantans, dass in diesem Jahr vom 9. bis 18. September seine 57. Auflage erfährt und dessen Eröffnungsveranstaltung im Dom stattfinden wird. Dessen Motto lautet 2022 Gefährliche Liebschaften. Damit bezieht man sich auch auf den Krieg in der Ukraine, bei dessen Betrachtung die Polen den westlichen Staaten viel Naivität bei ihrer lediglich auf wirtschaftliche Interessen basierende Realpolitik vorwerfen. Schon wegen ihrer Nähe zu Russland und den gesammelten Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte ist für die Polen der jetzige Konflikt nicht der erste und wird vermutlich auch nicht der letzte bleiben. Für die Organisatoren sind die Beziehungen zwischen dem Westen und dem Osten schon immer eine Art gefährlicher Beziehung.

Nach wie vor ist der aus Breslau stammende Dirigent Andrzej Kosendiak, der auch dem Nationalen Musikforum vorsteht und als einer der wichtigsten Animatoren des kulturellen Lebens seines Landes gilt, Leiter des Festivals. Kosendiak setzt sich auch als Initiator und künstlerischer Leiter eines Projekts zur Aufnahme aller Werke von Witold Lutosławski ein und koordiniert Alben zum Thema „1000 Jahre Musik in Wrocław“.

Eröffnet wird das diesjährige Festival vom Breslauer Barockensemble im Dom, bei dem passend zum Namensgeber der Kathedrale Alessandro Stradellas Oratorium Sam Giovanni Battista auf dem Programm steht. Stradella, einer der beliebtesten Komponisten seiner Zeit, schuf zahlreiche Vokal- und Instrumentalwerke, er war allerdings auch als Aufrührer und Verführer bekannt, Was ihm nicht nur Freunde einbrachte.

Als er den Günstling eines seiner Arbeitgeber in einer „gefährlichen Liebschaft“ verführte, konnte er zwar aus Venedig nach Turin fliehen, doch der gehörnte Adlige heuerte Mörder an, um ihm den Garaus zu machen. Stradella überlebte, konnte den Auftraggeber aufdecken und sorgte damit für einen Riesenskandal. Bei einer weiteren Liebelei hatte er weniger Glück und wurde 1682 in Genua im Alter von 38 Jahren erstochen.

Einen Tag später gibt der ukrainische Nationalchor „Dumka“ Volkslieder und geistliche Gesänge aus seiner Heimat, die von einem schon 1885 komponierten Gebet für die Ukraine eröffnet werden. Ein paar Tage später steht Beethovens Missa Solemnis unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner auf dem Programm. Neben Bachs h-Moll-Messe und Mozarts Requiem eines der größten Werke der Kirchenmusik. Auf der Bühne des Nationalen Musikforums tritt der Maestro mit Solisten, dem Monteverdi Choir und dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique auf, deren künstlerischer Leiter er ist. Beendet wird das Festival am 18. September mit einem erneuten Auftritt von Dumka mit der Uraufführung des Oratoriums Wyraj von Ołeksandr Szymko. Mit BOŻYCZI wird dann auch ein authentisches ukrainisches Musikensemble mit dem National Philharmonic Orchestra auf der Bühne stehen. Syzmko verwendete in seinem Oratorium orthodoxe Texte und archaische Volkslieder, die in das symphonische Material des Stücks eingewoben wurden. Ziel ist es, das Heilige und das Profane zu verbinden.

Oper Wroclaw

(c) Michael Ritter

Die Oper Wroclaw

Jahrhunderthalle

(c) Michael Ritter Gerne wurde das UNESCO-Weltkulturerbe Jahrhunderthalle für gigantische Opernaufführungen genutzt

Eine weitere wichtige Musikstätte Wroclaws ist das neben dem Nationalen Musikforum liegende und vom Breslauer Architekten Carl Ferdinand Langhans entworfene klassizistische Opernhaus der Stadt. Einst trat dort der 17-jährige Carl Maria von Weber seine erste Stelle als Kapellmeister an – als bisher jüngster der Musikgeschichte. Mit seinen Neuerungen und Bemühungen, das künstlerische Niveau der Oper zu heben, machte er sich nicht nur Freunde. Ein Schicksal, dass auch eine seiner Nachfolgerinnen teilte. Bei meinem ersten Besuch vor 15 Jahren sorgte die Dirigentin Ewa Michnik für ein hohes Niveau der Aufführungen in dem nach der Jahrhundertflut von 1997 restaurierten Opernhaus. In der Bauzeit wich sie für Aufführungen auf andere Aufführungsorte wie Kirchen, Museen oder die etwas außerhalb am Rande eines Parks gelegene Jahrhunderthalle aus und sorgte mit einem glänzenden Programm für frischen Wind und große internationale Anerkennung. Für die Aufführung von Verdis Aida setzte Michnik auf ungewohnte Exotik, indem sie einige Exoten aus dem benachbarten Zoo borgte. Sie war die erste Frau, die in Europa Wagners gesamte Tetralogie mit großem Erfolg dirigierte. Leider wurde die Spielzeit 2015/2016 nach 20 Jahren auch ihre letzte in Breslau. Michnik wurde Opfer der neuen Kulturmacht der PIS-Partei unter Kaczyński, der sie durch einen angepassten Dirigenten ersetzte, der inzwischen auch schon wieder Geschichte ist.

Auch wenn keine Konzerte stattfinden, ist die erwähnte Jahrhunderthalle eines der Bauwerke, die Wroclaw zum Mekka der Klassischen Moderne machen.

1913 von Max Berg errichtet, verfügt sie über die größte freitragende Kuppel der damaligen Zeit - mit einem Durchmesser von 130 Metern. 2006 ernannte man sie zusammen mit dem benachbarten Vier-Kuppel-Pavillon, der als Museum für zeitgenössische Kunst genutzt wird, zum Welterbe der UNESCO. Mit einem Fassungsvermögen von bis zu 6.000 Sitzplätzen ist sie ein idealer Platz für die Megaaufführungen der Breslauer Oper.

Die politisch instrumentierten Wechsel haben der Oper nicht wirklich gutgetan. Inzwischen ist der Bariton Mariusz Kwiecień ihr Künstlerischer Leiter. Kwiecień, der sich zuvor an den großen Opernhäusern der Welt, wie der New Yorker Metropolitan Opera, dem Moskauer Bolschoi-Theater, der Mailänder Scala und der Wiener Staatsoper unter anderen als Don Giovanni und Eugen Onegin einen Namen machte, beklagt die durch die Corona-Pandemie verursachten langen Ausfälle im Kulturbetrieb, die dem Haus massiv geschadet haben. Der Einsatz internationaler Stars sei momentan finanziell nicht möglich. Er hat deshalb bei der Premiere der jugendlich-frischen Inszenierung von Mozarts „Il Nozze di Figaro“ auf ein sehr junges Ensemble gesetzt, dass in seiner Spielfreude an Aufführungen der Operstudios erinnerte. Internationale Besucher damit nach Wroclaw zu locken, dürfte nicht einfach sein. Kwiecień ist froh über die neuen spannenden Aufgaben an einem der führenden Opernhäuser seines Heimatlandes, nachdem ihn ein Rückenleiden 2020 zur Aufgabe seiner internationalen Sängerkarriere zwang.

Michael-Engler-Orgel Wroclaw

(c) Michael Ritter

Die restaurierte Engler-Orgel

Gut besuchte Orgelkonzerte in der St.Elisabeth-Ki

(c) Michael Ritter

In der Nachbarschaft des Rynek liegt die eindrucksvolle St. Elisabeth-Kirche, die den eigentlichen Grund meiner diesjährigen Reise nach Wroclaw beherbergt: die frisch restaurierte barocke Engler-Orgel. Einst nannte man die Orgel aus dem 18. Jahrhundert die "Stimme Schlesiens". 1750 begann der erfahrene Breslauer Orgelbauer Michael Engler mit ihrem Bau, den später sein Sohn Gottlieb Benjamin und sein Schwiegersohn Gottlieb Ziegler fortsetzten und fertigstellten. Es wurde eine der beeindruckendsten Orgeln des Landes und man kann gut das Entsetzen der Bevölkerung verstehen, als 1976 ein Brand Teile der Kirche und die Orgel zerstörte. 2011 stand der Entschluss fest, die alte Orgel so detailgenau wie möglich mit den verbliebenen Resten zu rekonstruieren. Während andernorts mächtige neue Orgeln in die Konzertsäle der Welt hineingebaut wurden, wurde hier in einem in dieser Größe einzigartigen internationalen Millionen-Projekt die Stimme Schlesiens neu zum Erklingen gebracht. Seit Anfang 2022 ist das Opus Magnum nach fast zwei Jahren Bauzeit vollendet und die Zusammenarbeit der Bonner Orgelbaufirma Klais aus Bonn, die schon mit ihrer Konzertorgel im Nationalen Musikforum überzeugen konnte, war vom Erfolg gekrönt.

Prachtvoll die dekorative Front mit ihrem vergoldeten Prospekt und den Holzfiguren von Engeln und Propheten des Alten Testaments. Über 200 Bildhauer, Maler und Zimmerleute wirkten an dem Bau mit, für den die bis zu 12 Meter hohen aber auch teilweise nur 6 mm kleinen Pfeifen maßgefertigt wurden.

"Es wird mit Sicherheit eines der besten Instrumente in Europa sein, eine echte Vertreterin der barocken Welt, es gibt nur wenige solche Orgeln, die bis heute erhalten geblieben sind" - bemerkte der Orgelbauer Andrzej Lech Kriese als Vertreter des Konsortiums, das die Ausschreibung gewonnen hatte. Der Leipziger Organist Stefan Kießling, den ich nach seinem zum großen Teil Johann Sebastian Bach gewidmeten Konzert vor der neu gestalteten Orgel treffen, ist von der Leistung der Orgelbaue beeindruckt und testete mit seinem abwechslungsreichen Programm das ganze Spektrum der Pfeifen aus, die jetzt wieder im Rahmen einer Reihe von Orgelkonzerten zu hören sein werden.

UNESCO Weltkulturerbe Jahrhunderthalle

(c) Michael Ritter

Der Weg nach Wroclaw

Kathedrale St. Johannes des Täufers

(c) Michael Ritter

Zu erreichen ist Wroclaw gut mit dem Flugzeug von verschiedenen deutschen Flughäfen, aber auch mit dem Auto ist es über die Autobahnverbindungen Wroclaw gut zu erreichen. Teuer wird nur das Parken im Zentrum, denn freie Parkplätze gibt es nicht und einen Parkplatz muss man am besten gleich zusammen mit dem Hotel mitbuchen. Auch der FlixBus fährt nach Wroclaw, mit der Bahn werden wohl nur Reisende aus dem Osten Deutschlands einsteigen, da eine Fahrt aus Frankfurt mit 8 bis 10 Stunden und mehrmaligen Umsteigen einen ganzen Tag benötigt. Sonst lohnt der Hauptbahnhof von Breslau allein wegen seiner architektonischen Schönheit.

Bezahlt wird in Wroclaw mit dem Złoty, von denen man für einen Euro gut 4,7 erhält. Man kann fast überall mit den gängigen Kreditkarten bezahlen. Oft lohnt bei kürzeren Aufenthalten die dann anfallende Gebühr für den Auslandseinsatz.





5-Sterne-Hotel Monopol

(c) Michael Ritter

Wohnen und Essen in Wroclaw

Hotel Monopol

(c) Michael Ritter

Auch Gourmets können in Wroclaw lukullische Entdeckungen zu vernünftigen Preisen machen. Immer wieder gibt es neben den bekannten Zielen etwas Neues und Sehenswertes zu entdecken. Eine der gediegensten Unterkünfte der Stadt mit ausgezeichneter Küche und einer wunderschönen Dachterrasse für einen Sundowner liegt genau neben der Oper: das neobarocke 5-Sterne-Superior-Hotel Monopol. Vor 130 Jahren errichtet, diente es unter anderem Marlene Dietrich, Gerhart Hauptmann, Pablo Picasso, Lilian Harvey und Joachim Ringelnatz als Quartier. Ein bisschen weniger pompös, aber durch seine zentrale Lage nur ein paar Meter entfernt vom Rynek ist das 4-Sterne Art Hotel.

Essen kann man fast überall im Zentrum. Die Preise sind günstiger als in Deutschland. Sowohl die internationale wie die klassische polnische Küche ist weitverbreitet und man wird meist sehr freundlich bedient. Eines der besten Mahlzeiten in Breslau war eine Sous vide gegarte Ente im Przystan, von dem man einen schönen Ausblick auf die Oder und das sich darin spiegelnde abendlich beleuchtete Universitätsgebäude genießen kann.


© Michael Ritter

Foyer des Nationalen Musikforums

(c) Michael Ritter

(c) Connaisseur & Gourmet 2021