Richard Gerstl ist der „erste österreichische Expressionist“ - und für viele immer noch ein Geheimtipp. Jetzt zeigt - erstmals in Deutschland - die Frankfurter Schirn eine umfassende Retrospektive und versammelt nahezu alle Werke, die heute von ihm bekannt sind. In seinen Arbeiten offenbart sich ein ewig suchender Künstler, der bereits vieles vorweg nahm, was sich erst später in der Kunstgeschichte manifestierte.
Vermutlich würde er heute ebensolchen Weltruhm genießen, die die anderen großen Meister der Wiener Moderne, Kenner n nennen den im Alter von nur 25 Jahre verstorbenen Künstler in einem Atemzug mit Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka. In den wenigen Lebensjahren rund um die Wende zum 20. Jahrhundert schuf der Künstler ein aufregendes und ungewöhnliches, wenn auch sehr überschaubares Werk – eines mit beeindruckenden Höhepunkten und wegweisenden Neuerungen. Die Schirn Kunsthalle präsentiert dies bis zum 14. Mai 2017. Richard Gerstls Malerei reflektiert seine Auseinandersetzung mit den Widersprüchen der Moderne: Er war ein Rebell, widersetzte sich stilistisch und inhaltlich der Wiener Secession, lehnte deren Schönheitsbegriff ab und bekannte sich zu einer Ästhetik des Hässlichen. Gerstl liebte die Provokation und malte in der Überzeugung, künstlerisch „ganz neue Wege“ zu gehen, gegen tradierte Regeln an. Dabei schuf er schonungslose und selbstbewusste Bilder, die keinem Vorbild folgen und bis heute ihresgleichen suchen. Sein Œuvre ist das eines Suchenden, das bereits vieles vorweg nahm, was erst später in der Kunstgeschichte ausformuliert wurde, etwa in der Malerei des Abstrakten Expressionismus der 1950er-Jahre. |
Das Porträt, vor allem das Selbstporträt, der Akt und die Landschaft sind Gerstls bevorzugte Genres. Die Ausstellung in der Schirn zeigt zwei Selbstporträts des Malers: das früheste, das Selbstbildnis als Halbakt von 1902/04 und sein letztes, das Selbstbildnis als Akt von 1908. Neben Porträts wie Die Schwestern Karoline und Pauline Fey oder das Bildnis Henryka Cohn II präsentiert die Ausstellung auch die zahlreichen Darstellungen von Mathilde Schönberg, etwa Mutter und Tochter oder Sitzender weiblicher Akt sowie Porträts der Freunde und Schüler des Komponisten Arnold Schönberg, wie etwa das Bildnis Alexander von Zemlinsky. Gerstls Gemälde Die Familie Schönberg und insbesondere das Gruppenbildnis mit Schönberg (beide Ende Juli 1908) bilden einen Höhepunkt in der Ausstellung.
Die Schirn versammelt von 60 überlieferten Werken Richard Gerstls insgesamt 53, darunter Leihgaben aus führenden Museen Österreichs, u. a. aus dem Leopold Museum, der Galerie Belvedere, dem MUMOK, dem Wien Museum, der Albertina, dem Oberösterreichischen Landesmuseum Linz und dem Museum der Moderne Salzburg. Ein großes Konvolut kommt zudem aus der Neuen Galerie in New York und weitere Werke aus wichtigen europäischen und amerikanischen Privatsammlungen. Zur Ausstellung erschien bei Hirmer der sehr sehenswerte Katalog mit einem – erstmals seit 1993 – aktualisierten Werkverzeichnis. |