Noch bis zum 26. Juni 2017 läuft im Museum für Modern Kunst in Frankfurt die Ausstellung "Claudia Andujar. Morgen darf nicht gestern sein". Sie gibt mit Werken von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart erstmals in Europa einen umfangreichen Einblick in das fotografische Œuvre der 1931 im Schweizer Neuchatel geborenen Fotografin. Seit 1955 lebt sie in São Paulo, wo sie zunächst ohne Kenntnisse der portugiesischen Sprache mit Hilfe der Fotokamera durch Bilder kommunizierte. Seither ist Andujars fotografische Praxis eng mit der jüngeren Zeitgeschichte Brasiliens sowie den Gegensätzen und Konflikten des Landes verknüpft.
Ihre Bildserien sind das Ergebnis von Reisen zwischen der südlichen Metropole São Paulo und dem nördlich gelegenen Amazonasgebiet. Sie schaffen ein Panorama Brasiliens, das sich zwischen Stadt und Natur bewegt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste in Brasilien und der kürzlich verkündeten Klimaziele des Landes zeichnet sich Andujars Werk bis heute durch eine hohe Aktualität und Brisanz aus, denn seit Beginn der 70er-Jahre engagiert sich die Fotografin für die Yanomami, die größte indigene Volksgruppe im Amazonasgebiet, deren Existenz von der durch wirtschaftliche Interessen getriebenen Invasion ihres Lebensraums bedroht ist. In zahlreichen Bildserien hat sie deren Zusammenleben über Jahrzehnte fotografisch dokumentiert. Ihre bis heute wichtigste Serie ist "Marcados" (dt. Markiert). Künstlerische Praxis und aktivistisches Engagement sind in diesen Aufnahmen untrennbar miteinander verknüpft. Die subjektive Perspektive der Fotografin ist dabei stets in den Bildern präsent. Sie sind das Resultat einer von ihr initiierten Beziehung oder Konfrontation. |
Für die Aufnahmen der Serie "Rua Direita" (1970) setzte sich Andujar auf die gleichnamige belebte Straße in São Paulo und fotografierte die Passanten aus einer starken Untersicht. Was im Bild nahezu inszeniert wirkt, ist die spontane Reaktion auf die unerwartete Begegnung mit der Person der Fotografin, die in den erschrockenen, distanzierten, neugierigen oder verwunderten Gesichtern sichtbar ist. In der Serie "Através do Fusca" hingegen verkörpern die Fenster eines VW Käfers, aus dem die Künstlerin 1976 eine Reise von São Paulo ins Amazonasgebiet fotografierte, die für ihr Schaffen charakteristische Einschreibung ihrer eigenen Position in die Bilder.
Die Präsentation einer Auswahl von Werkreihen auf den von der italienisch-brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi entworfenen "Cavaletes" (dt. Staffeleien) unterstreicht den dialogischen Charakter von Andujars Fotografien. Auf den aus Betonkuben und Glasplatten gefertigten Displays erhalten die Fotografien den Status von "Quasi-Subjekten", die den Betrachtern auf Augenhöhe begegnen. Bo Bardi entwarf die "Cavaletes" erstmals 1968
für eine Ausstellung in dem von ihr erbauten MASP (Museu de Arte de São Paulo). Sie trat damit für eine Abkehr von traditionellen, westlichen Präsentationsformen von Kunst ein.
Zur Ausstellung erschien im Kerber Verlag ein beeindruckender Katalog mit den Bilderserien der Foltografin. Die darin enthaltenen Portraits sind der Beginn einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit der Kultur der Yanomami. Darüber hinaus umfasst das Buch fotografische Werkgruppen von den 1960er-Jahren bis heute. In den eindrucksvollen Bildserien tritt der Mensch in seinem Verhältnis zu Gesellschaft und Politik, Stadt und Natur in einen engen Dialog mit dem subjektiven Blick der Fotografin. In einem begleitenden Interview mit der Kuratorin Carolin Köchling gibt die Künstlerin einen tiefen Einblick in ihr Schaffen und Werk. |