Zum Salone del Gusto ins Piemont

Genussreise durch das Piemont

Liegt es an Carlo Petrini, dem Gründer von Slow Food oder an den erstklassigen Nebbiolo-Weinen aus Barolo, Barbaresco und anderen Dörfern der hügeligen Langhe? Vielleicht, aber auch sonst verbinden sehr viele Menschen mit dem Piemont das Wort GENUSS – und das in einem Land wie Italien, wo quasi an jeder Ecke leckere herkunftsgeschützte Spezialitäten auf Genießer lauern.

Der heute 73-jährige Soziologe und Publizist Petrini stammt aus dem Piemont. Genau genommen aus dem kleinen Städtchen Bra, unweit von Turin, wo er als Stadtrat der Partito di Unità Proletaria tätig war. Auslöser für die Gründung von Slow Food war die Eröffnung einer McDonalds-Filiale an der römischen Piazza Navona, der Petrini ein großes öffentliches Spaghetti-Essen an der Spanischen Treppe entgegensetzte. Ersten engeren Kontakt mit Slow Food hatte ich vor rund 20 Jahren. Ich lernte damals als Juror der Gourmet Voice in Cannes deren damalige Vize-Präsidentin Alice Waters kennen, der wir für Verdienste um die Ernährungserziehung für Kinder an ihrem Wohnort Berkeley, wo sie das Restaurant Chez Panisse betreibt, den Preis als Gourmet-Kommunikatorin des Jahres verliehen. Sie ist Pionierin der Bio-Lebensmittel in den USA und fordert auch von den Schulkantinen den Einsatz regionaler und saisonaler Lebensmittel, um umweltschädliche weite Transporte zu vermeiden, die zu schlechteren Produkten für die Verbraucher führen.

Cheese und Salone del Gusto Gastro-Highlight

Petrinis Heimatstadt Bra ist auch der Ort, an dem ich erstmals eine Slow-Food-Messe besuchte – die Käsemesse Cheese, bei der die engen Straßen und Gassen des kleinen Orts prall mit Besuchern aus aller Welt gefüllt waren, die sich über Käsespezialitäten informierten, die es zum Teil auf die Arche des Geschmacks geschafft hatten, auf der Slow Food weltweit schützenswerte Lebensmittel, Nutztiere, Kulturpflanzen und traditionelle Zubereitungsarten vor dem Vergessen und Verschwinden bewahren möchte. Speziell über deren deutsche Passagiere hatte ich in den folgenden Jahren oft berichtet.

Untergekommen war ich damals im Stadtteil Pollenzo, wo schon die alten Römer eine wichtige Siedlung hatten. Ab 1832 baute es der piemontesische König Carlo Alberto zu einem landwirtschaftlichen Gut im neugotischen Stil und seinem Landsitz aus und es blieb im Familienbesitz, als 1946 Viktor Emanuel III. als letzter italienischer König abdankte und den Titel eines Grafen von Pollenzo annahm. Auch das Hofgut in Pollenzo kam 1997 auf die Liste des UNESCO Weltkulturerbes als eine der Residenzen des Königshauses Savoyen. Im zweiten Hof des Albertinischen Komplexes, der Agenzia ist heute neben der von Slow Food betriebene Università di Scienze Gastronomiche und der Wine Bank die Albergo dell’Agenzia untergebracht. Die Università ist ein spannender Treffpunkt für junge Kochbegeisterte aus aller Welt

Auch jetzt führte mich wieder eine Slow Food-Veranstaltung ins Piemont. Diesmal war dessen Hauptstadt Turin mein Ziel, das ich zuvor immer nur kurz auf der Zugreise oder Autobahn gestreift, aber nie besucht hatte. 2022 hatte man sich für die alle zwei Jahre stattfindende Terra Madre, den Salone del Gusto, den Parco Dora als Ausstellungsort ausgewählt. Entstanden ist dieser „Park“ am Nordrand der Stadt am Fluss Dora Riparia aus einem alten weitläufigen Industriegelände. Zumindest einen der Vorbesitzer – Michelin – verbinden Gourmets von heute noch mit Fine Dining. Während die TuttoFood in Milano vor allem die Interessen der Lebensmittelindustrie repräsentiert, haben auf dieser wichtigen europäischen Lebensmittelmesse eher die handwerklich hergestellten Lebensmittel ein Forum und finden dort ihre Liebhaber. Keine als Effizienz getrimmte und dabei die langfristigen Bedürfnisse der Verbraucher für den Profit opfernde Industrie traf man deshalb mit ihren Marketing- und PR-Beaus in den Zelthallen an, sondern kleine Produzenten aus ganz Europa und zum Teil auch aus Übersee.

Da präsentieren sich Bäcker, die noch die Traditionen der Familie pflegen, wenn sie in jahrhundertealten mit Holz befeuerten Öfen aus Marmor ihr Brot bei sehr hoher Temperatur backen, ohne die heute geltenden und von den Lobbyisten politisch durchgedrückten Hygienevorschriften zu verletzen, mit denen man vielen Traditionsbetrieben den Garaus gemacht hat. Schade, denn wenn man die Produkte probiert, ist jeder fasziniert von der kräftigen Kruste, die durch die massive Hitze keine Blasen aufwirft.

Könnte man so etwas nicht auch heute – für eine größer werdenden Gruppe von Gourmets realisieren? Wohl kaum, denn schon der meterstarke Marmor der Ofenwände würde heute ein Vermögen kosten. Ganz zu schweigen von der für den Bau notwendigen Arbeit von Kunsthandwerkern. Man erkennt schnell, dass die meisten der auf der Terra Madre gezeigten Spezialitäten nicht dem Anspruch der ubiquitären Verfügbarkeit und Skalierbarkeit genügen, die von den Handelskonzernen oft von ihren Lieferanten gefordert werden. Es sind und bleiben Delikatessen. Immerhin haben einige der großen internationalen Handelsunternehmen im Laufe der Jahrzehnte verstanden, dass man auch mit solchen Nischenprodukten verdienen kann, doch treiben dann die Distributionskosten den Preis in die Höhe und manche der Aussteller auf der Terra Madre haben inzwischen vielerorts kleine Feinkosthändler gefunden oder verkaufen ihre Produkte selbst im Internet.

Auch viele andere von ihren Machern präsentierte Produkte, wie Käse, Gemüse, Würste oder Schinken entstehen nach tradierten Rezepten. Inzwischen sind diese handwerklichen Arbeitsmethoden vielerorts fast ausgestoben und diejenigen, die weiter nach ihnen produzieren, wie zum Beispiel der pensionierte Biologielehrer Helmut Pöschel, in seinem Heimatort Würchwitz meist nur Humus genannt, ist mit Produkten wie dem Würchwitzer Milbenkäse, inzwischen so etwas wie ein Held von Slow Food. Aber inzwischen ist die einstige erbitterte Feindschaft zwischen Slow Food und der Lebensmittelindustrie einer Art von Kooperation gewichen, bei der Slow Food allerdings aufpassen muss, nicht zu sehr einverleibt zu werden, da ihr sonst die Anhänger abhandenkommen können.

Was kann Slow Food politisch bewegen?

Insofern versucht Slow Food ihrerseits Lobbyarbeit zu betreiben und die Institutionen der EU und der einzelnen Länder davon zu überzeugen, Fördergelder nicht schnell und einfach an die Großindustrie zu verteilen, sondern damit gezielt das Handwerk zu fördern. Einige Großunternehmen haben inzwischen gelernt, dass man an den von Slow Food formulierten Wünschen einiger engagierter Kunden nicht achtlos vorübergehen sollte. So ist zum Bespiel das Kaffee-Imperium der Familie Lavazza eine Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation "Rain Forrest Alliance" eingegangen, um in Südamerika und Äthiopien ihr Topprodukt "Terra" fair und nachhaltig herstellen zu lassen und sich sozial zu engagieren. So etwas ist sicherlich in einem Familienunternehmen leichter umzusetzen, als in einem globalen Konzern, der den Wünschen der am kurzfristigen Profit ausgerichteten Shareholder gerecht werden muss. Mit weltweit rund 100.000 Mitgliedern ist Slow Food kein Riese, doch seine Tochter Terra Madre als Netzwerk der Lebensmittel Viel einflussreicher als Slow Food ist die Terra Madre, ein Netzwerk mit zwei Millionen Mitgliedern, die entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette (ein Unwort) tätig sind und sich für ein Menschenrecht für gute, sauber und fair hergestellte Lebensmittel einsetzt.

Der aus einfachen Verhältnissen am Nordufer des Viktoriasees in Uganda stammende Edward Mukiibi wurde 2022 zum neuen Präsidenten von Slow Food gewählt. Er ist stolz auf die gute Zusammenarbeit mit Turin und der Region Piemont. „Über das Essen hat die Region Piemont die Begegnung und den Austausch von Kulturen aus aller Welt gefördert. Denn wer ins Piemont kommt, fühlt sich nicht nur von einer unglaublichen gastronomischen Vielfalt angezogen, sondern auch von einer echten Esskultur. Es ist kein Zufall, dass es die einzige Region ist, die eine Universität beherbergt, die sich ganz der Gastronomie widmet". 2022 findet die Terra Madre-Messe bereits zum 14. Mal statt und konnte nach den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in den davor liegenden 2 ½ Jahren wieder viele Menschen mit Biodiversität, Bildung und Aktivismus der Initiativen, Geschmacks-Workshops, Tischgesprächen, Konferenzen und Treffen mit Philosophen, Ökonomen, Aktivisten, Künstlern und Forschern versammeln, die sich auch durch das teilweise sehr regnerische Wetter nicht von einem Besuch auf dem schlammigen Veranstaltungsgelände abhalten ließen.

Terra Madre hat in den Jahren an Bekanntheit zugenommen. Piemont erweist sich dabei als perfektes Ziel für jeden Feinschmecker, denn zusammen mit seiner Hauptstadt Turin ist es Botschafter der italienischen Ess- und Weinkultur, verfügt über einen historischen Ruf und Produkte, deren Qualität überzeugen. Sei es bei der Schokolade, den Haselnüssen bis hin zum Reis, der in Europas größten Reisfeldern zwischen Vercelli, Novara und Biella angebaut wird. Als ich vor einigen Jahren bei einem Besuch auf den chinesischen Reisefeldern den dortigen damals fast 90-jährigen Nationalhelden Yuan Longping traf, der der Erforschung der Reiszucht sein gesamtes Berufsleben gewidmet hat und in seiner Heimat als "Vater des Hybridreises" bekannt war, der in den 1970er Jahren mit seinem gekreuzten Reis und einem 20 Prozent höheren Jahresertrag viele Menschen vor dem Hungertod rettete, war dieser Kenner der Reissorten rund um den Globus ganz begeistert von dem piemontesischen Reis und sagte, dass wir Europäer glücklich darüber sein können. Auch die große Vielfalt an handwerklich hergestellten Käsesorten, wie der Hartkäse Bra Duro, der mit Grappa fermentierte Bruss, der intensive Castelmagno, der gerne für Käsefondues verwendete Fontina aus dem Aosta Tal, der Blauschimmelkäse Gorgonzola aus Novara, der Frischkäse Murazzano, der fette Ossolano, der Alpkäse Raschera, der milde, weiche Robiola di Roccaverano und Toma Piemontese.

Das weiße Gold des Piemont

Eine der kulinarischen Highlights des Piemonts durfte ich schon vor einigen Jahren zusammen mit ein paar Hunden und deren Besitzern erkunden: die weiße Alba-Trüffel. Man findet sie zum Glück nicht nur in und um Alba, obwohl sie dort gerne im Herbst die Gerichte verfeinert, wenn im ab Oktober am Ort die Internationalen Messe und der Weltmarkt für Weiße Trüffel gefeiert wird. Das „weiße Gold des Piemont“ nennt man sie gerne und sie kann fein gehobelt einen Teller frische handgemachte Pasta, ein Risotto oder ein Ei in ein Gourmet-Erlebnis verwandeln. Ich hatte mich damals am frühen Morgen auf die Suche nach diesem verborgenen Schatz gemacht, hatte die Umgebung erkundet, die er benötigt und mir von den Traditionen und Legenden erzählen lassen. Die Trüffelsuche, die Verkostung zusammen mit lokalen Spezialitäten und Wein sind eine einzigartige Erfahrung der Natur, der beeindruckenden Umgebung, der Wälder und mancherorts kann man sie heutzutage auch buchen. Zum Beispiel beim Nationalen Studienzentrum für Trüffel. Geführt wird man dabei von einem professionellen Trifulau und seinem speziell ausgebildeten Hund, den man im Piemont Tabui nennt.

Piemont und seine Weine

Ich war damals der Einladung des Weinguts Tenuta La Tenaglia gefolgt, dass nur wenige Meter unterhalb eines der Schätze des UNESCO-Weltkulturerbes des Piemonts liegt, dem Sacro Monte di Crea, einem der heiligen Hügel des Monferrato. Das angesehene Weingut gehört Sabine Ehrmann. Die kam im Jahr 2004 recht überraschend zu dem Weingut, dass eigentlich ihren Eltern als zeitweiser Alterssitz dienen sollte, nachdem ihre Mutter starb und ihr Vater Alois lieber weiterhin den Überblick über die Familienmolkerei im Allgäu behalten wollte, aus der gut jeder achte in Deutschland ausgelöffelte Joghurt stammt. Sabine lebte bereits seit Jahren in Italien, sprach perfekt Italienisch, war auf Ischia mit dem Maler Giuseppe Olivieri verheiratet und hatte Kinder, die mit Land und Kultur vertraut sind. So wurde die Weinliebhaberin quasi über Nacht zur Winzerin.

Anders als in der Molkerei ihres Vaters setzt Sabine Ehrmann stärker auf Klasse statt auf Masse. Die beiden heimischen Rebsorte Barbera d‘Asti und Grignolino bringen wichtige Weine des Weinguts hervor, aber auch internationale Rebsorten wie Chardonnay kommen mit ihrem frischen Aroma gut an. Die Weinberge liegen rund ums Weingut am Hang der Hügel des Monferrato. Man spürt sofort den Kunstsinn, der sich hier mit einem bunten Programm von Ausstellungen, Konzerten und anderen Events offenbart. Dabei fehlt nie der exzellente Wein der Tenuta. Sie passten ausgezeichnet auch zu dem Trüffel, den wir bei einem morgendlichen Ausflug mit dem Trifulau ausbuddeln und am Abend genießen konnten.

Doch auch sonst sind die weltweit für ihre Qualität geschätzten piemontesischen Weine eng mit den Erzeugern und dem Land verbunden.

Mit 43.500 Hektar Rebfläche steht das Piemont für seine prestigeträchtigen, aus Nebbiolo gewonnene Rotweine wie Barolo, Barbaresco, Gattinara und Ghemme, für Barbera Nera und Brachetto d'Acqui und für Weißweine wie Roero Arneis, Gavi, Asti Spumante und Moscato d'Asti. Nicht vergessen sollte man auch den Nascetta, der das Zeug hat zu einem ebenbürtigen weißen Gegenspieler der edlen Nebbiolo-Weine zu werden. Die autochthone Rebe wird nur in kleinen Mengen in Langhe angebaut, nachdem viele Weinberge zugunsten anderer ertragsstärkerer Rebsorten aufgegeben wurden. Heute findet man sie mit etwa 20 ha rund um das Dorf Novello. Es lohnt sich, sie bei einem Besuch auf der Weinkarte zu suchen. Mit nur 4 bis 4,5 hl/ha ist der Ertrag eher gering. Die Weine begeistern durch ihren frischen Charakter mit Anklang von Akazienblüte, Salbei, Rosmarin und Zitrone und erinnern mit kräftiger Frucht manchmal an ‘Muskat’. Ein Wein mit Alterungspotenzial, der erst seit einem Vierteljahrhundert langsam wieder aus Versenkung emporsteigt, nachdem er zuvor jahrzehntelang in Vergessenheit geraten war.

Insgesamt findet man 18 DOCG- und 41 DOC-Sorten, meist in den UNESCO-Weinbaulandschaften Langhe Roero und Monferrato. Manche der rund 18.000 Weinkeller und 14 regionalen Enotheken lohnen den Besuch vom Verkosten und Genießen. Einen Blick in die Geschichte kann man im WIMU werfen, den Weinmuseum von Barolo, das mit seinem innovativen Multimedia-Rundgang und zahlreichen interessanten Workshops ein Muss ist. Durchs Piemont führen sieben Weinstraßen, die so ohne große Fachkenntnis dem Besucher einen außergewöhnlichen Überblick über die besten Erzeugnisse bieten. Manche der Restaurants sind mit Michelin-Sternen ausgezeichnet.

Nas-Cetta

GRAPPOLO di NASCETTA
Gianduiotti

Turin als Schokoladen-Hochburg

Lange Zeit hatte ich einen Bogen um die piemontesische Hauptstadt gemacht. Ich vermutete dort eher rauchende Schlote und industrielle Ödnis. Auch die ersten Filme änderten daran nichts: Torino Nera, ein Mafiafilm mit Bud Spencer als Sizilianer, der unschuldig wegen eines Mords in seiner Nähe verurteilt wird und auf Rache sinnt oder Lina Wertmüllers Film über den Metallarbeiter Mimi, gespielt von Giancarlo Giannini, der merkt, dass die Mafia nicht nur in seiner sizilianischen Heimat, sondern auch in Turin mächtig und gefährlich ist. Über ein Jahrhundert lang spielte Fiat eine wichtige Rolle in der gesamten Region und als ich später bei einem Empfang im Metropolitan Museums in New York dessen damaliges Stiftungsratsmitglied, den meist unter seinem Spitznamen „l’avvocato“ bekannten Fiat-Chef Giovanni Agnelli kennenlernte, verbesserte sich der Eindruck nicht. Als Anfang der 90er Jahre mit den „Mane pulite“, was man sinngemäß mit „weiße Weste“ übersetzen könnte, eine Welle von Ermittlungen über Politiker und Manager hereinbrach, blieb „l’avvocato“ unversehrt, zog sich aber aus dem Tagesgeschäft zurück. Inzwischen ist Agnelli tot, Fiat ist in Stellantis aufgegangen und viele der Industriebetriebe sind abgewandert, haben fusioniert und haben industrielle Brachen, wie den Parco Dora hinterlassen. Andere, wie die alten Fabrik und das Wohngebäude von Olivetti sind inzwischen Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Das hat auch der Luft im Tal des Po gut getan.

Süßmäuler dürften sich im Piemont ebenfalls pudelwohl fühlen, denn die Geschichte der Schokolade in Turin und im Piemont ist die Geschichte von Generationen von Meister-Chocolatiers und unwiderstehlichen Leckereien, die man nicht nur in den historischen Konditoreien und Cafés in Turin genießen kann.

Mit hochwertigen Zutaten und großer Erfindungsreichtum wurde Turin schon seit dem 16. Jahrhundert zur europäischen Hauptstadt der Schokoladenherstellung. Damals kam der Kakao mit dem Savoyer-Herzog Emanuele Filiberto ins Piemont. Der auch „Eisenschädel“ genannte Regent, der auch das berühmte Turiner Grabtuch in die Stadt brachte, stand damals in den Diensten seines Habsburger Großonkels Kaiser Karl V. Spanien hatte damals als erstes europäisches Königreich die "Speise der Götter" aus Mittelamerika nach Europa gebracht. Später wurde es nicht nur als flüssig-heiße „Cioccolada calda“ angeboten, sondern auch in fester Form und eroberte so schnell die Herzen und Gaumen der Liebhaber. Die Tafeln wurden damals in den Geschäften "geschnitten" verkauft, aber man schuf auch Spezialitäten wie Cremino oder Torinese und Füllungen wie Alpino, Favorito und Preferito, Pralinen, Trüffeln und Cri-cri.

Grandios entwickelte sich seit 1865 die Kombination von Kakao und der regionalen Haselnuss "tonda e gentile delle Langhe". Das Ergebnis war Gianduiotto, die weltberühmte, auf dem Kopf stehende schiffsförmige Scheibe aus Gianduja-Masse. Sie war die erste Schokolade, die in Gold- oder Silberpapier verpackt wurde. Geboren wurde sie im Karneval und bekam ihren Namen von der ikonischen, rötlichen Maske gleichen Namens, einem Symbol Turins. Eine der legendären Adressen, die man für den Einkauf unbedingt heimsuchen sollte, ist die 1836 eröffnete Konditorei Stratta, auch wegen der leckeren bunten Bonbons.







Kaffee, Kakao oder beides zusammen der Bicerin

Viele Turiner lassen es sich nicht nehmen, in den Cafés der königlichen Residenzen und in den historischen Cafés im Zentrum mit der Merenda Reale eine üppige Pause einzulegen und dampfende heiße Schokolade aus der Tasse zu schlürfen, in die man Baci di dama aus mit Schokolade und Haselnussmehl, duftendes Schokoladengebäck Diablottini und die kleinen Gebäckstücke Bignole, die man mit einem Bissen genießen kann, eintauchen kann.

In einem dieser Cafés, dem 1763 gegründeten Al Bicerin wurde eine andere Spezialität der Stadt kreiert: der Bicerin. Bicerin bedeutet im piemontesischen Dialekt Gläschen und darin wird das leckere Heißgetränk aus Espresso, Kakao und Vollmilch auch serviert. Zwar wurde die genaue Mixtur stets geheim gehalten, doch man kann ihn auch andernorts mit demselben Genuss trinken. Wenn Sie es aber schaffen, ein Plätzchen an einem der alten Marmortische aus der Gründerzeit neben den treuen Stammkunden, am Ort der Erschaffung das Original zu finden, dann lassen Sie sich einen Besuch in dem kleinen Café nicht entgehen. Früher tranken die Turiner nach dem Besuch des Gottesdienstes im gegenüberliegenden Santuario della Consolata ihren Bicerin, weiß Mitbesitzerin Viviana von ihren Vorfahren, heute ist das Café stets gut gefüllt.

Wenn Sie es einmal bei sich zu Hause zubereiten wollen, haben wir hier ein am Original angenähertes Rezept: Zuerst erhitzt man etwas 150 ml Vollmilch und schmilzt darin knapp 50 Gramm zartbittere Schokolade. Dann kocht man einen starken Ristretto und füllt diesen in ein kleines Glas oder eine Tasse, gießt die heiße Schokomilch darüber und toppt das Ganze mit einem kräftigen Klecks Crema di Latte, Crème double oder halbfester Schlagsahne. Fertig ist der Bicerin.

In der Nachbarschaft des Palazzo Reale, dreht in der historischen Galeria Subalpina gerade die RAI eine Telenovela vor dem historischen Café Baratti&Milano.

Ich muss deshalb erst einmal mit dem Aufnahmeleiter diskutieren, damit er mich durchlässt, denn ich habe im Café ein Treffen mit Turins Bürgermeister Stefano Lo Russo, der die Stadt seit 2021 mit einer Mitte-links-Koalition leitet. Eigentlich ist Lo Russo im Hauptberuf Geologie-Professor und lehrte zuvor Geothermie am Turiner Polytechnikum, Italiens bester Technischer Hochschule.

Der bodenständige Sozialdemokrat erkennt die Bedeutung von Essen und Trinken für seine Stadt und freut sich über den Salone del Gusto und über neue Veranstaltungen in der Stadt, die Bürger und Gäste damit vertraut machen. Im Frühjahr 2023 startet zum Beispiel der neue Salone del Vino und ColtivaTo, das Internationale Landwirtschafts-Festival. Lo Russo "begrüßt die neue Messe mit Begeisterung. Essen und Wein sind Teil der Kultur, ein Anziehungspunkt für das Piemont und besonders für Turin. Im Mai hatte er mit dem European Song Contest 2022 eine weitere Großveranstaltung im für die Winter-Olympiade 2006 gebauten riesigen PalaOlimpico, die zigtausend Fans in die Region brachte.

Lo Russo mag das historische Café, das 1858 von Ferdinando Baratti und Edoardo Milano als Konditorei und Spirituosenladen eröffnet wurde. Das Wissen um die Herstellung erwarb Milano in Paris und setzte die von dort mitgebrachten Rezepte gekonnt um, so dass Baratti & Milano schnell für ihre exquisiten Schokoladenkreationen bekannt und auch königlicher Hoflieferant wurde. Dabei ist das Unternehmen heute Nachhaltigkeit wichtig und es kooperiert in Ecuador, Ghana und an der Elfenbeinküste mit Genossenschaften, die ihre Kakaobauern am Erfolg beteiligen. Reinigung und Röstung der Kakaobohnen und die Verarbeitung zur Schokolade erfolgt in Turin. Beim mehrstündigen Conchieren entzieht man dem Kakao Feuchtigkeit und Säure und gewinnt die erwünschten Aromen. Dazu kommen dann die Piemonteser Haselnüssen und frische Milch aus der Normandie, um weltbekannten Nougat herzustellen.





Street Food in Turin

Welche Unterschiede es macht, welches Mehl man verwendet, erfahre ich bei einem kurzen Besuch in der 2010 gegründeten Bäckerei Perino Vesco Fornai von Andrea Perino und Chiara Vesco in der Via Cavour. Andrea nimmt mich mit in die Backstube, wo seine eifrigen Mitarbeiter wuseln. Er verwendet in seinem Betrieb eine Auswahl an steingemahlenem, biologischem Mehl, das fast ausschließlich aus Vollkorn gemahlen wird. Dabei ist die Idee des Ehepaars, die Traditionen der weißen Kunst zu respektieren, aber sie an zeitgenössische Trends und Ernährungsbedürfnisse anzupassen. Das unterschiedliche Mehl ist dabei der absolute Hauptdarsteller. Meist ist es Vollkorn von Dinkel, Hafer, Gerste und Roggen. Andrea backt das Brot ausschließlich mit natürlicher Hefe und stellt davon auch die Sandwiches her, die Turiner gerne auf die Hand zum Mittagessens genießen. 20 Sandwiches hat er immer im Angebot, wobei das Angebot je nach Saison wechselt. Köstlich die auch gerne mit Wurst oder Käse servierten Grissini mit Wasser oder Öl, die nach der Überlieferung vom Hofbäcker der Savoyer im Jahr 1679 erfunden wurden, da der zukünftigen König Victor Amadeus II. aus gesundheitlichen Gründen Schwierigkeiten mit der Verdauung hatte.

Das längliche, knusprige, krümelfreie Brot tat ihm gut und wurde so schnell zum Erfolg.

Auch an Süße, ist kein Mangel und man kann Hefegebäck wie Colombe, Panettone und Pandoro genauso gut bekommen wie traditionelle piemontesische Torta Langarola mit den berühmten Haselnüssen. Hervorragend auch die Crostata Frangipane mit frischen Feigen oder der für die Bäckerei einzigartige Giacomilla, eine Art Panettone, benannt nach seinen (inzwischen erwachsenen) Kindern Giacomo und Camilla “mit dem sie die Wartezeit zwischen Ostern und Weihnachten überbrücken konnten“, freut sich Andrea. In der warmen Jahreszeit bereitet er ihn mit Orangenschale, Zitrone und Zitronat, in den kalten Monaten mit Aprikose und Schokolade zu.

Zu Gast bei den Maestri del Gusto

Jedes Jahr wählt die Turiner Industrie- und Handelskammer zusammen mit Slow Food die Maestri del Gusto, die Meister des Geschmacks. Einige davon konnte ich bei meinem Besuch von Turin und Umgebung besuchen. Die Latteria Bera ist ein kleines historisches Geschäft im Stadtzentrum, das an die Molkereien von einst erinnert, als man noch Milch in kleinen Kannen nach Hause lieferte. 1918 gegründet und 1958 von ihrer Großmutter übernommen, der Carlo Petrini in einem seiner Bücher ein Kapitel gewidmet hat, setzt seit 2016 Enkelin Chiara die Arbeit fort. Auch in dieser „Impresa Storica d’Italia“, eine Auszeichnung mit der man historische Geschäfte auszeichnet hat die Lebensmittelüberwachung der nicht abgepackten Milch zwischenzeitlich durch strenge Auflagen ein Ende bereitet. Heute locken hauptsächlich die unterschiedlichen Käsesorten durch die beiden Schaufenster die Kunden an. Chiara sucht stets kleine Erzeuger und kann von denen eine beeindruckende Auswahl regionale Käsesorten präsentieren. Dem internationaler gewordenen Geschmack ihrer Kunden folgend, sind es zwischenzeitlich auch einige Käsespezialitäten aus dem benachbarten Ausland. Da findet man neben den weiter oben schon erwähnten Käse auch alpinen Bettelmatt aus dem Val Formazza, den Stiefmütterchen-Käse Plaisentif, den wie eine Pyramide aufgebaute Käsetorte Montebore, den uralten Hartkäse Bagòss, den Ricotta Seirass und den Almkäse Grasso d'alpe, aber auch wunderschöne lange gereifte Parmesanräder, von denen sich die Kunden eine Ecke abschneiden lassen können. Eine Leuchtreklame wirbt für "Panna montata", Schlagsahne, die man hier frisch geschlagen kaufen kann. Auch mit Zabaglione kann man sie mischen, sie ist sehr lecker und es gibt kaum einen besseren Ort dafür, denn in der benachbarten Kirche San Tommaso hat nach der Legende San Pasquale Baylon oder San Bajun diese köstliche Süßspeise erfunden.

Nicht nur die Köche des einstigen Fiat-Lenkers Giovanni Agnelli schätzen die Kompetenz und das erlesene Angebot des kleinen Ladens.

Auch die Eisdiele von Alberto Marchetti hat die Auszeichnung „Maestri del Gusto“ erhalten. Nach der Eröffnung des ersten Ladens im Jahr 2007 ist das Geschäft von Alberto und seiner Frau Alessia stetig gewachsen. Alberto hat als Sohn eines Eismachers das Handwerk von der Pike auf gelernt und bereitet sein Eis ganz nach Slow Food-Maximen gut, einfach und frisch zu. Viele Zutaten bekommt er aus Slow Food-Betrieben und möchte seine Kunden nicht durch übermäßig ausgefallene, sondern ehrliche einfache Produkte, die täglich frisch in den Werkstätten der Verkaufsstellen zubereitet werden, überzeugen. Neben Eis und Granitas gibt es bei ihm auch Eis am Stiel, das die Turiner "stic" nennen, für das er hochwertigen Sirup verwendet, auch von tropischen Früchten wie Mango und Passionsfrucht. Dazu gibt es immer wieder einmal Spezialitäten in Gläsern. Eine davon ist Zabà, eine Zabaglione in zahlreichen Geschmacksrichtungen, die aus der Zusammenarbeit mit Eiern der glücklichen Hühner von Franco Fatolino und anderen Zutaten, wie dem traditionellen Marsala oder der mit Weißwein aromatisierten Chinarinde nach einem Rezept des Ristorante Magorabin entstanden ist. Auch lecker: Beermouth, eine Kreation Teo Mussos von der Brauerei Baladin.

Rundgang durch das royale Turin

Turin beherbergt eine große Zahl erstaunlicher königlicher Residenzen und man bedauert schnell, wenn man nicht ausreichend Zeit mitgebracht hat, um sie auch in den Feinheiten zu erkunden, denn ihr Inneres lohnt durch die darin enthaltenen Museen oft einen mehrstündigen Besuch. Die Könige und Herzöge Savoyens hatten ein geberfreudiges Händchen, um die besten Künstler und Handwerker an ihren Hof zu holen und ihren Reichtum zu präsentieren. Oft findet man dort auch die rund um die Welt „angesammelten“ Schätze.

Im Herzen der schachbrettartig angelegten Stadt liegt der Königliche Palast des Hauses Savoyen. Er stammt aus dem 16. Jahrhundert, wurde aber bereits ein Jahrhundert später von der Herzogin Christine Marie von Frankreich barockisiert. Dazu gehören auch der angrenzende Palazzo Chiablese, die Biblioteca Reale mit einem Selbstportrait Leonardo da Vincis und die Kapelle des Heiligen Grabtuchs, die für das schon erwähnte Grabtuch Christi erbaut wurde. Seit 1946 ist es ein Museum und seit einem guten Vierteljahrhundert zusammen mit den anderen Residenzen des Hauses Savoyen in und um Turin ein italienisches Highlight auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Im Palast selbst lohnt für alle Kunstfreunde der Besuch der Galleria Sabauda im Manica Nuova, die einige große Meisterwerke der führenden europäischen Schulen beherbergt und als eine der bedeutendsten Galerien Italiens die Savoyer Sammlungen beherbergt.

Auf der anderen Seite der Piazza Castello liegt auch schon ein weiterer königlicher Palast, der Palazzo Madama aus dem frühen 18. Jahrhundert. Hier befand sich der erste Senat des italienischen Königreichs. Seinen Namen verdankt er den Verzierungen, die er unter Maria Christina erhielt, die als französische Königstochter Madama Reale genannt wurde und den Palast zu ihrem bevorzugten Wohnsitz machte. Auf seiner Rückseite wirkt er wie eine mittelalterliche Burg und hat sogar das römische Stadttor Porta Decumana aus dem 1. Jahrhundert vor Christus integriert. Beeindruckend ist das allein schon durch seine Größe und die doppelläufige Anlage beeindruckende Treppenhaus, das sich mit 25 m Raumhöhe und etwa 50 m Länge fast über die ganze Breite des Baus erstreckt. Seit 1934 ist dort das Museo Civico d' Arte Antica untergebracht mit mittelalterlichen Skulpturen und Gemälden und einer spannenden kunsthandwerklichen Abteilung mit Glas, Porzellan und Keramik aus verschiedenen Epochen. Auch der Palazzo della Prefettura, das Staatsarchiv, die Reitschule, die Königliche Münze, das Teatro Regio, Die Königliche Akademie und der Palazzo Carignano – alle mit auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, liegen direkt neben oder nur wenige Schritte entfernt vom Palazzo Reale. Etwas weiter entfernt am Ufer des Po liegt das hübsche, eher an ein Loire-Schloss erinnernde Schloss del Valentino. Auch hier hatte Madama Reale, die Tochter Heinrich IV., maßgeblichen Einfluss auf die heutige Gestalt. Ihr Sohn Karl Emanuel II. von Savoyen legte später auf halben Weg zum heutigen Flughafen nördlich der Stadt ein Jagd- und Lustschloss an, das sein Sohn Viktor Amadeus II. später zu einem großartigen Palast von Venaria Reale aus- und umbauen ließ. Versailles war hier nicht nur bei den Gärten Vorbild. Seine elegante Große Galerie erinnert frappierend an den dortigen Spiegelsaal. Nach langer und sehr aufwändiger Restaurierung kann man Italiens zweigrößtes Schloss wieder besichtigen.

Auch wenn es in Turin regnet, was auch bei meinem Besuch öfter vorkam, wird man nicht zwangsläufig nasse, denn die Portici, die eleganten Arkaden entlang der wichtigsten größeren Straßen erlauben das Flanieren auch bei Regen. Es erinnert etwas an den Pariser Einfluss. Zum großen Teil sind sie durchgehend miteinander verbunden und haben eine Gesamtlänge von mehr als 18 Kilometern. So kann man in einem der historischen Cafés auch bei schlechtem Wetter seinen Aperitif im Freien genießen.

Das Haus Savoyen war nach den Feldzügen Napoleons begeistert von der Kunst des Alten Ägyptens. Herzog Karl Felix eröffnete in Turin das erste Ägyptische Museum in Europa, dessen umfangreiche Sammlung die bedeutendste außerhalb von Kairo ist und unbedingt einen Besuch lohnt. Auch wer noch nie in Turin war, hat wahrscheinlich schon das Filmmuseum der Stadt gesehen, denn es ziert die Rückseite der italienischen 2-Cent-Münze. Die Mole Antonelliana, wobei Mole im Italienischen nicht nur Maulwurf, sondern auch „sehr großes Bauwerk“ bedeutet, ist DAS Wahrzeichen Turins. Unten wie ein Pavillon, hat sie einem hohen, sich stark verjüngenden Aufsatz. Gebaut wurde sie 1863 bis 1889 nach Plänen des namensgebenden Architekten Alessandro Antonelli für die jüdische Gemeinde. Erst war sie als Synagoge geplant, doch der Ehrgeiz des Architekten ließ die Kosten so stark explodieren, wie bei uns der Flughafen BER. Auch die guten Verbindungen der jüdischen Gemeinde konnten die Zusatzkosten nicht mehr tragen, weshalb schließlich die Stadt Turin einsprang und daraus ein Museum des Risorgimento, der eng mit Turin verbundenen Gründung des italienischen Nationalstaats machte. Ein heute im Inneren zu sehender geflügelten Genius auf der Spitze in 167,5 m Höhe vollendete 1889 den Bau.

Bei seiner Fertigstellung war es das zweithöchste begehbare Gebäude der Welt - nach dem knapp zwei Meter höheren für das Gedenken an George Washingtons errichteten Obelisken in den USA. Höher als der Dom der späteren Turiner Partnerstadt Köln. Die Kuppelkonstruktion ist ohne Eisenbeton in traditioneller Bauweise errichtet, indem Antonelli die ziegelgemauerten Wände mit Lisenen verstärkte und damit eine hohe Stabilität erzielte. Heute ist hier das Museo Nazionale del Cinema, Italiens wichtigstes Filmmuseum zu Hause. In der interessanten Dauerausstellung, die regelmäßig durch Sonderausstellungen ergänzt wird, bekommt der Besucher einen erstklassigen Überblick über die Entwicklung des Films im Laufe der Jahrzehnte. Von den Millionen von Sammlungsstücken können immer nur ein kleiner Teil gezeigt werden, aber auf einige Highlights dieser Memorabilia, wie die Schuhe und Schmuck von Marilyn Monroe, den Hut Charlie Chaplins oder das Gewand von Lawrence von Arabien braucht man nicht zu verzichten. Man könnte dort sicherlich mehr als einen Tag sinnvoll verbringen. Viele Besucher kommen nicht wegen der Sammlung, sondern wegen des Blicks, denn im Zentrum fährt eine nur an Seilen geführte gläserne Liftkabine in die Laterne über der Kuppel. Hier hat man aus 85 Meter Höhe eine phantastische Aussicht über die Stadt und bei klarem Wetter auf die nahen Alpen, der nur getoppt wird vom Blick von der oberhalb der Stadt gelegene Basilica di Superga.

Die Wermut-Tradition Turins

Gut gefallen hat mir das Angebot der Initiative „Extra Vermouth“, das Stadt und Provinz zusammen mit dem Consorzio del Vermouth di Torino ins Leben gerufen haben. Zwar tranken schon die alten Ägypter mit Kräutern versetzten Wein, der auch gerne, wie Hippokrates berichtete, als Heilmittel gegen Gelbsucht und Tetanus eingesetzt wurde, doch die Wermut-Tradition der Neuzeit stammt wohl aus dem Königreich Savoyen, wo Antonio Benedetto Carpano das aromatische Getränk seit 1786 in Turin zubereitete. Seinen Namen verdankt er dem Wermutkraut, das durch bittere Aromastoffe den Geschmack prägt. Es war wohl als Alternative zum Rotwein gedacht und entstand durch Zugabe von Zucker, Karamell und zahlreichen anderen Kräutern. Ein echter Renner, der dafür sorgte, dass Carpanos Laden rund um die Uhr geöffnet war. Eine trockenere weiße Variante entstand später in Frankreich. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Vermouth zunehmend unpopulär, da man ihn mit als Wermutbrüder bezeichneten Stadtstreichern verband. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist seine Renaissance angesagt und allein in der Mitte des letzten Jahrzehnts entstanden weltweit mehr als 100 neue Marken. Guter Grund der Rückkehr der historischen „Merenda sinoira“, der Stunde des Wermuts, der auch in Italien seinen Namen vom Deutschen herleitet.

Zahlreiche Lokale haben sich der Initiative angeschlossen und bieten für 18 Euro „Extra-Vermouth“ an, drei Degustationen von Wermut aus Turin gepaart mit 4 Degustationen typisch piemontesischer Gerichte, die an die Merenda Sinoira erinnern mit einem süßen Abschluss in Form eines Bignole.

Kulinarische Topadressen

Turin und das Piemont sind prall gefüllt mit guten, sehr guten und sogar mehr als einem Dutzend mit Michelin-Sternen ausgezeichneten exzellenten Trattorien und Restaurants. Ein erstklassiger Ort, um dort die ausgezeichneten lokalen Gerichte zu probieren, wie die Bagna Cauda oder Bagna Caoda genannte Soße auf Knoblauch- und Sardellenbasis, die man mit rohem Gemüse serviert. Übersetzt bedeutet das eigentlich nur warme Sauce, die über das Piemont hinaus auch in der Provence und rund um Nizza sehr beliebt ist. Beim Gemüse nimmt man Möhren, Wirsing, Peperoni, Rübchen, Staudensellerie, Fenchel, Paprika, Frühlingszwiebeln, Radicchio, Chicorée, Topinambur und Champignons. Während des Essens hält man die Sauce auf einem Fojòt aus glasierter Keramik heiß. Manche lieben sie als Vorspeise, andere als Hauptgericht.

Ein sehr lohnenswertes typisches Turiner Restaurant ist das schon fast 500 Jahre alte Tre Galline im Quadrilatero Romano, eines der ersten Restaurants der Stadt, wo man die meisten der typischen Gerichte entweder als Tasting Menü oder a la Carte kombiniert mit den anderen Delikatessen Piemonts genießen kann. In dem lebhaften, einst verrufenen Stadtteil herrscht auch am späten Abend noch buntes Treiben. Auf der Piazza Palazzo di Città und der Fußgängerzone Via Garibaldi locken auch zahlreiche Straßencafés und gemütliche Tapasbars. Das Viertel grenzt an den Königlichen Palast. Das Stadttor Porta Palatina markiert den Eingang zum gleichnamigen archäologischen Park.

Sterneküche wird im traditionellen Del Cambio serviert. Auch dies ein Ort mit langer Tradition, denn im prächtigen Samt- und Blattgoldambiente genoss schon Italiens erster Ministerpräsident Camillo Benso di Cavour sein Essen. Sternekoch Matteo Baronetto macht erstklassige Pasta. Die Preise sind hoch, aber es ist immer noch ein tolles Erlebnis, auch wenn man nur einen Drink in der schicken Bar im Obergeschoss schlürft.

Neben der Bagna Cauda hat auch die Vorspeise Vitello Tonnato seine Heimat im Piemont. Vitello ist dabei dünn aufgeschnittenes in einer mit Weißwein verfeinerten Gemüsebrühe Kalbfleisch, das nach Erkalten mit einer durch Kapern, Sardellen und Zitronenmayonnaise verfeinerten Thunfischsauce überzogen wird. Auch hier gibt es immer wieder regional abweichende Rezepturen, aber für mich ist dieses gekühlt mit Kapernäpfeln servierte Antipasto seit Jahrzehnten ein Genuss und ich liebe es, jeden Rest der Thunfischsauce mit dem Weißbrot vom Teller zu bekommen.

Nicht aus dem Piemont, sondern aus Harrys Bar in Venedig stammt ein anderer Vorspeise-Klassiker: das Carpaccio, doch das wertvolle Fleisch des Piemonteser Rinds eignet sich hervorragend dazu auch in Turin und Umgebung gut gekühlt und hauchdünn aufgeschnitten mit kalter Mayonnaise-Sauce aus Olivenöl, Eigelb, Weißweinessig, Senf, Worcestershiresauce, Zitronensaft, Salz, Pfeffer und etwas Milch serviert zu werden.

Das heimische Rind wird auch gerne in Barolo geschmort oder als Bollito misto als gemischtes gekochtes Fleisch aus verschiedenen Fleischsorten. Üblicherweise kommen dabei Rindfleisch, Kalbfleisch, Rinderzunge und Huhn sowie die aus Schwarte zubereitete Schweinswurst Cotechino, gefüllter Schweinsfuß Zampone und Wurzelgemüse auf den Teller. Dabei werden die Rinderzunge, die Wurst und der Schweinsfuß einzeln in Salzwasser vorgekocht. Dann kocht man das Rindfleisch im Salzwasser, fügt später Kalb, Huhn und Gemüse hinzu und zum Abschluss die vorgekochte Zunge, Wurst und der Schweinsfuß. Auf Piemonteser Art serviert man es – da dürften sich Frankfurter schnell heimisch fühlen – mit Grüner Sauce, der Salsa verde.

Zu den lokalen Spezialitäten des Piemont gehören Bianca di Saluzzo, ein weißes Huhn, das mit seinem delikaten Fleisch Passagier der Arche des Geschmacks ist, das graue Carmagnola-Kaninchen, das man gerne mit Steinpilzen serviert, der König-Kapaun aus Morozzo, auch diese beiden bei Slow-Food bestens bekannt, und die goldene Schleie von Poirino mit ihrem festen, weißen und aromatischen Fleisch. Auch das Angebot an Wurstwaren ist beeindruckend: Rohschinken aus Cuneo über Lebermortadella und Mustardela-Blutwurst aus den Valli Valdes, diverse Salami wie die Turgia-Salami und die Bra-Wurst sowie Kutteln aus Moncalieri und gesalzene und gepökelte Schenkel von Ziege, Lamm und Gämsen.

In der Gegend von Cuneo kommen auch gerne Schnecken den Weg in die Restaurantküche, als Lumaca di Cherasco oder Borgo San Dalmazzo. Gezüchtet werden sie in kleinen Gehegen, denn durch das Washingtoner Artenschutzabkommen sind sie in freier Natur geschützt. Die Weinbergschnecken wachsen hier auf feuchten, kalkhaltigen Böden heran und ernähren sich ausschließlich vegetarisch. Einest waren sie eine leicht zu fangende Zutat der Cucina Povera, der Armenküche: die Frösche. Heute hat man diese vergessene Zutat, die man in den nachhaltig gewässerten Reisefedern von Vercelli und Novara fängt, gerne in frittierter Form als Riso e Rane auf dem Teller.

Reis Hochburg des Risotto

Auf halbem Weg zwischen Turin und Mailand liegt inmitten der umgebenden Reisefelder das Städtchen Vercelli. Der nach dem Mont Blanc zweithöchste Gipfel Europas, der Monte Rosa mit der 4634 Meter hohen Dufourspitze, der die Grenze zur Schweiz markiert, liegt in Sichtweite. Man merkt der kleinen Stadt noch immer an, dass sie einst ein reicher und mächtiger Bischofssitz war. Heute gilt der Ort als größter Umschlagsplatz für Reis in ganz Europa. Rund 60 Prozent stammt aus der Po-Ebene.

Inzwischen werden hier einige Dutzend unterschiedliche Sorten angebaut, unter denen sich jene, die sich für den Risotto eignen, naturgemäß am häufigsten finden. Allen voran die Sorten Balilla, Arborio, Baldo und Carnaroli. Wobei letztgenannte als die beste unter den Risotto-Reis-Sorten gilt und in der Regel auch am meisten kostet.

An der vom mittelalterlichen Engelsturm überragten Piazza Cavour im schönen Zentrum Vercellis treffe ich mich in der Pasticceria Taverna & Tarnuzzer mit Giulia Varetti. Giulia hat nach dem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Journalismus unter anderem beim Radio gearbeitet und beim Reismuseum in Casalbeltrame, betreut seit 2019 redaktionell risotto.us und hat die Ausbildung zum Reissommelier absolviert. Mit riseecüerience.it bietet sie seit einiger Zeit die touristische Erkundung des Reisanbaus ihrer Heimat an. Die Pasticceria wurde 1889 von zwei Graubündnern eröffnet. Mit ihrem Billiardsaal lockten sie neben den Einheimischen auch Vittorio Emanuele an, der damals in der Stadt ein Reiterregiment kommandierte. Seit 1903 nannte man sich deshalb stolz Hoflieferant.

Eine Spezialität der Pasticceria sind die Bicciolani. Ein traditionelles lokales Gebäck, dessen Rezept auf die Renaissance zurückgeht, als man ihm Zimt zusetzte, der ihm ein unverwechselbares Aroma verlieh. Daneben dienen meist Zimt, Nelken, Koriander und Muskatblüte zu den Zutaten, doch jeder Konditor dürfte auch hier Wert auf seine besondere "Geheimzutat" legen. Sie schmecken am besten mit heißer Schokolade. Eine andere Spezialität sind die weichen Makronen, deren Rezept Andrea Tarnuzzer von dem Besitzer einer Spirituosenfabrik in Casale Monferrato bekam. Der wollte dafür keine Gegenleistung, sondern sagte streng im Dialekt "dami an basin". Die delikaten Kekse werden aus Eiweiß, Mandeln und gemahlenen Aprikosenkernen hergestellt und schmecken gut mit einem Glas Moscato.

Zum Mittagessen habe ich einen Tisch im Ristorante Vecchia Brenta reserviert. Giulia hat mir verraten, dass man dort mit dem Panissa eine der Risotto-Spezialitäten der Gegend bekommt. Eingeführt hatten es die Saisonarbeiter auf den Reisfeldern von Vercelli eingeführt wurde. Der Name leitet sich vermutlich von der Hirseart panìgo ab, mit der man dieses Gericht einst kochte, bevor Reis populär wurde. Natürlich verwendet man auch im Vecchia Brenta dafür Reis der Sorten Arborio, Baldo oder Maratelli und kocht sie im großen Kessel zusammen mit Bohnen aus Saluggia, Zwiebeln, Barbera-Rotwein, Schmalz, der fetten Salami "salam d'la duja", Salz und Pfeffer zu einem gehaltvollen Reisegericht. Dazu passte gut ein mittelkräftiger piemontesischer Barbera.

Einst war die Ebene um Vercelli und das nahe Novara ein riesiges Sumpfgebiet, bis es die Mönche trockenlegten und urbar machten. Der Reis und seine Verarbeitung hat die Stadt reich gemacht. Zwar ist Reis immer noch Hauptfaktor der lokalen Wirtschaft, doch ernährt er auf den Farmen meist nur noch eine Handvoll Menschen, denn viele Arbeiten wurden mechanisiert und billiger Reis aus Asien hat den lokalen Reis weitgehend verdrängt. Italien schafft es mit rund 1,5 Millionen Tonnen Reis in der Weltrangliste nicht einmal unter die Top 30 schafft. Spitzenreiter sind mit jeweils deutlich mehr als dem 100fachen China und Indien. Dennoch bleibt Reisanbau eine wichtige Tradition. China und Indien waren auch vor Jahrtausenden der Ursprung des Reis, der dann über den Nahen Osten und Nordafrika mit den Arabern nach Sizilien kam. Spanien, Katalonien und Frankreich waren weitere Stationen auf dem Weg nach Norditalien, wo er im 13. Oder 14. Jahrhundert ankam.

In Vercelli lohnt der Besuch der Basilica Sant’Andrea mit ihren vier Türmen aus dem Jahr 1224, die das bedeutendste Werk des romanisch-gotischen Übergangsstils in Norditalien ist. Durch gute Kontakte nach Frankreich und England war für den Bau nicht nur das nötige Geld in der Kasse, sondern auch das Wissen um architektonische gotische Neuerungen auf der Ile de France, die bei den Baumeistern umgesetzt wurden. Zum Glück hat die Abtei architektonisch ihr ursprüngliches Aussehen weitgehend bewahrt, wenn man einmal von einem neuen Glockenturm absieht. Der Kreuzgang des Klosters wurde zwar umgebaut, doch blieben die ursprünglichen kleinen, in Vierergruppen angeordneten Säulen erhalten. Sehr schön ist die romanische Fassade mit ihrem farblichen Gleichgewicht und den figurengeschmückten Lünetten über den Portalen, die möglicherweise auf Benedetto Antelami zurückgehen, einem der großen und namentlich bekannten Bildhauer der Romanik. Im Inneren überrascht einer der ersten gotischen Kirchenräume auf italienischem Boden. Der nahe Duomo S. Eusebio stammt aus der Zeit um 1572. Die Vorhalle ist klassizistisch. Vom bis ins 4. Jahrhundert zurückgehenden romanischen Vorgängerbau ist außer einigen Sakralgegenständen nichts mehr erhalten. Der Dom diente mehreren Mitgliedern des Hauses Savoyen als Grablege.

Ich besuche dort die Tenuta Colombara von Piero Rondolino, wo mich dessen Sohn Umberto durch die alten Gebäude des riesigen Anwesens führt. Im Jahr 2004 die Familie aus Liebe zur Tradition das "Konservatorium für Reisanbau" gegründet, ein thematischer Museumsrundgang über die italienische Reiszivilisation. Die verschiedenen Werkstätten wie Schmiede, Schreinerei, Sattlerei, Käserei und die Wohnungen der Arbeiterschaft, der Schlafsaal der Erntehelferinnen und die Schule, sind quasi so belassen worden, wie sie einst waren und zeugen dadurch umso lebendiger von der Vergangenheit.

Man fühlt sich erinnert an den neorealistischen Film "Bitterer Reis" aus dem Jahr 1949, der die amourösen Verwicklungen zweier Paare zeigt. Und den Gangsterfilm mit der Lebenswelt der Erntehelferinnen vermischt. Die Wahl fiel nicht zufällig auf die Reisarbeiterinnen, die oft monatelang gebeugt, mit einem Tuch vor dem Mund, um sich gegen die Insekten zu schützen und einem runden Strohhut in der sengenden Sonne im Wasser stehen mussten und für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen mussten. Vielfach wurden sie am Ende schlecht entlohnt zurück in ihre Heimat geschickt. Die „Mondine“ gelten als Vorreiter der italienischen Arbeiterbewegung, hatten sich in einer Gewerkschaft organisiert und für den Achtstundentag gekämpft. Das Wort stammt vom "putzen", denn neben der Saat mussten die Frauen auch vom Unkraut befreien. Die Männer erledigten währenddessen die Heuernte kümmerten. Mittlerweile haben Spritzmittel und Traktoren die Frauen ersetzt. Damals waren die nackten Beine der Frauen, besonders der Protagonistin Silvana Mangano für viele Kinobesucher noch ein Skandal. In Deutschland galt ‚Bitterer Reis‘ für einige Zeit als Synonym für überproportionierte Busen.

Auch auf diesem Hof waren noch zu Beginn der 1960er-Jahre mehrere Hundert Menschen rund um das Landgut beschäftigt. Mit seinem Reis Acquerello setzt er ausschließlich auf Carnaroli, eine besonders feine und edle Sorte, die man nicht umsonst König der Reissorten nennt. Nach der Ernte lagert Pieros Sohn Rinaldo den Reis bei kontrollierter Temperatur unter 15°C für mindestens ein Jahr in große Silos ein, da sich der Reis vor allem im ersten Jahr der Lagerung stark verändert, wenn sich seine Stärke stabilisiert und Proteine reifen und der Geschmack feiner und intensiver wird. Gereift ist es die stärkereichste Reissorte, die beim Kochen die vierfache Wassermenge aufnimmt, ohne matschig zu werden. 20 Verarbeitungsschritte sind notwendig- Wegen seines langen Korns darf er sich »superfino« nennen. Langsam geschält hat er ein zartes Nussaroma und ist Risottoreis der Spitzenklasse.

Der Keim gilt als der wichtigste Teil des Reises, da er die meisten Vitamine und Spurenelemente enthält. Während der Verarbeitung trennt man ihn vom Korn, kann ihn aber dank eines patentierten Verfahrens in der weiteren Verarbeitung wieder integrieren und so den Geschmack von weißem Reis mit dem Nährstoffgehalt des Vollkornreises kombinieren.

Rund ein Prozent seiner Ernte wird bei Rondolino zur Edizione Limitata, die sieben Jahre im Kühlsilo reift. Rondolino hat sie 2016 dem 30. Jubiläum von Slow Food Italia gewidmet, die das Landgut als Studienzentrum nutzen. Es dürfte wohl der einzige Reis der Welt sein, der so lang gelagert wird bis die Reife der Stärke vollständig abgeschlossen ist, denn die Umwandlung der Stärke und Proteine dauert rund sechs bis acht Jahre. Die Körner sind dann dunkler und brauchen beim Kochen einige Minuten länger, da sie eine größere Kapazität zur Aufnahme von Flüssigkeiten haben, dann größer sind und intensiver schmecken. Der Reis bleibt dabei bissfest und bewahrt seine Konsistenz, nimmt aber Würze und Geschmack besser auf. Die Rondolino nennen ihre Reserve-Qualität Invecchiato. Poliert wird der Reis in einer Schleifschnecke aus dem Jahr 1884, die besonders langsam, sanft und schonend arbeitet und die Körner nicht beschädigt. Er wird so nicht reinweiß, bewahrt aber deutlich mehr Vitamine und Spurenelemente. Rondolino ist überzeugt, dass sein gereifter »Invecchiato«-Carnaroli das Beste ist, was man aus Risotto-Reis machen kann. Für ein Pfund in der Dose zahlt man für den sehr gefragten Reis bei uns 13 Euro.

Eine schöne Unterkunft finde ich auf dem Weg aus der Ebene unterhalb von Monferrato, nur wenige Kilometer vom Weingut von Sabine Ehrmann entfernt im Borgo Ramezzana Country House. Das in Teilen mittelalterlich wirkende Herrenhaus stammt aus dem späten 19. Jahrhundert. Einst war das Gelände im Besitz der Abtei Lucedio, die hier eine Farm unterhielt. Nach der Säkularisierung kam es über verschiedene Vorbesitzer an den Urgroßvater der heutigen Besitzerin, die das Herrenhaus mit seinen geräumigen Zimmern im Herren- und im Bauernhaus liebevoll pflegt. Dabei bewahren die Zimmer des Herrenhauses die Details eines repräsentativen Hauses, mit Kaminen, bemalten Decken und Möbeln aus dem 19. Jahrhundert. Beim Bauernhaus hat man auf zwei Etagen sechs Zimmer in einem zeitgenössischen Stil gestaltet, die mit Möbeln Indien, China, Japan und Indonesien ausgestattet sind, denn die Leidenschaft für ferne Kulturen geht auf die Reisen der Eigentümerin zurück. Im hübschen Restaurant des Herrenhauses stehen neben anderen lokalen Spezialitäten und köstlichen Weinen aus dem Piemont natürlich wieder Risotto und Panissa hoch im Kurs.

Durch Ghemme und Gattinara zum Lago Maggiore

Bei der morgendlichen Fahrt nach Norden zum Lago Maggiore dominiert den Blick das beeindruckende Bergmassiv des Monte Rosa oberhalb von Zermatt und Saas-Fee. Nach einer Stunde Fahrt durch die Reisebene erreiche ich mit Ghemme und Gattinara zwei der wichtigen Weinorte dieser Zone des Piemont. Die Geburtsstadt des Schöpfers der Mole Antonelliana bringt in den letzten Ausläufern der Alpen einen beeindruckenden hier Spanna genannten Nebbiolo hervor, der sehr viel weniger bekannt ist als seine Vetter aus Barolo oder Barbaresco, da sie mit 50 ha Rebfläche zu den kleinsten Denominationen Italiens gehört. Seine Gerbstoffe Tannine treten deutlich hervor und der Wein hat auch einen recht hohen Säuregehalt, was sich nach ein paar Jahren der Reife angenehm auswirkt und den Ghemme zum Beispiel von Francesco Brigatti mit dem Oltre il Bosco zum eindrucksvollen Genuss macht. Auf der anderen Seite des aus dem Wallis zum Po fließenden Sestia liegt das bekanntere und fast doppelt so große Alto Piemonte-Weinbaugebiet Gattinara. Auch hier dominiert der Nebbiolo, der teilweise in seiner Wucht von der autochthonen Vespolina gemildert wird. Der Gattinara hatte einen wichtigen Fürsprecher in Kardinal Mercurino Arborio, der aus dem Ort stammte und als Kanzler Kaiser Karl V. den Wein schon Mitte des 16. Jahrhunderts an die europäischen Herrschaftshöfe brachte und seinen langen internationalen Ruhm begründete. Giacomo Conterno hatte schon in Monforte d’Alba ein gutes Händchen für Piemonteser Spitzenweine und führt auch das Traditionsweingut Nervi in Gattinara mit einem Nebbiolo vom Vulkan-Terroir auf den richtigen Weg. Es ist das, was man hier als Cool Climate bezeichnen kann, was den Wein zu einer spannenden Delikatesse macht, die preislich deutlich unter dem Langhe-Niveau liegt.

Für einen schönen Abstecher böte sich jetzt noch ein Besuch des malerischen Lago di Orta, doch ich habe noch einen Termin gemacht und fahre auf direktem Weg über die umgebende Hügelkette herunter an den Lag o Maggiore nach Arona. Die Seemitte markiert bis zur Schweizer Grenze kurz vor Locarno die Grenze zur Nachbarregion Lombardei.

Arona und Carlo Borromeo

Oberhalb von Arona erhebt sich die 23 Meter hohe Kolossalstatue des Heiligen Carlo Borromeo. 1538 wurde der einstige Kardinal und Erzbischof von Mailand in dem Örtchen geboren, wo er einem angesehenen Adelsgeschlecht entstammte. Beim wichtigen Konzil von Trient war er einer der wichtigsten Vertreter der katholischen Reform, mit der man der Reformation im Norden Paroli bieten wollte.

Schon zu Lebzeiten galt der wackere Kirchenmann als Idealtypus des Kirchenfürsten, weshalb er schon ein gutes Vierteljahrhundert nach seinem Tod 1610 von Papst Paul V. heiliggesprochen wurde. Die Statue verdankt die Nachwelt seinem Vetters Federico, der 1624 die Kupferstatue im Auftrag gab. 1697 war die Arbeit vollendet und blieb bis zur Errichtung der Bavaria oberhalb der Münchner Theresienwiese die höchste von innen begehbare Statue. Carlone – oder „Riesenkarl“ nennt ihn der Volksmund nach wie vor. Erst sollte es eine Marmorstatue werden, doch nur aus Kupfer konnte das riesige Werk letztendlich vollendet werden. Zwar folgte auch Federico der päpstlichen Ernennung zum Mailänder Erzbischof, doch die Heiligsprechung blieb dem ebenfalls reform- und kunstfreudigen Kardinal verweht, der mit der Mailänder Biblioteca Ambrosiana eine der bedeutendsten Bibliotheken Europas schuf. Man kann die Statue nicht nur über eine weite Strecke vom See sehen, sondern hat von dort oben auch eine fantastische Aussicht auf den größeren See, wie er in der Übersetzung hieße.

Besuch beim Käsezüchter

Ein paar Meter den Berg hinab und schon bin ich am Ziel meines heutigen Vormittags: der Bottega Guffanti. Dort versteht man sich als Manufaktur für edlen Käses und wenn man im 60 Kilometer entfernten Mailand im Sternelokal ein Risotto mit Parmesan für 42 Euro löffelt, dann darf der verwendete Käse auch schon mal 100 Monate gereift sein, deutlich länger als die für den extra straveccione geforderten sechs Jahre. Heute steht Carlo Guffanti Fiori mit seinen Söhnen Giovanni und Davide dem Familienunternehmen vor, in dem schon vor knapp 150 Jahren sein Ururahn Luigi damit begonnen hatte Gorgonzola zu reifen. Dazu hatte der clevere Luigi eine verlassene Silbermine im lombardischen Valganna erworben. In dieser in der Region auch gerne „piccola Siberia“ genannt wird, herrschte in der Mine das ganze Jahr über eine konstante Temperatur und Feuchtigkeit, die den Käse so gut reifen ließ, dass seine Söhne schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts bis nach Argentinien und Kalifornien exportierten, zwei Länder mit vielen piemontesischen und lombardischen Auswanderern. Inzwischen ist es die fünfte Generation, die von den Erfahrungen der Ahnen profitieren. Das Wissen um die Lagerung des Gorgonzolas wurde nach und nach auch auf andere Käsesorten übertragen – mit Erfolg. Heute exportiert Guffanti neben Amerika und Europa auch nach Asien und Australien. Bei uns in Deutschland ist er unter anderem beim italienischen Feinkostspezialisten Viani aus Göttingen im Angebot. Einige Blauschimmelkäse reifen in Arona bis zu zwei Jahre.

Ich muss zum Glück nicht die Fahrt in die Silbermine auf mich nehmen, denn die hat man 1990 aufgegeben und inzwischen dank der modernen Kühltechnik haben die Guffanti in den in den Felsen gegrabenen Reifekellern einer alten Wurstfabrik Quartier bezogen und verkaufen oberhalb in einem schönen Laden nur ein paar hundert Meter vom Lago Maggiore entfernt ihre edlen Produkte auch an die Laufkundschaft. Guffanti ist gerade vom Salone del Gusto zurück, wo sein Stand eines der Highlights bei den Besuchern war. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder spannende Käsekeller besucht und mit Käsehändlern gesprochen. Auf der schon eingangs erwähnten Slow Food-Käsemesse Cheese in Bra hatte ich damals Bernard Antony kennengelernt, der Im Sundgau Rohmilchkäse aus Frankreich und der Schweiz anbietet und viele der besten Restaurants Frankreichs und Deutschlands auf der Kundenliste hat. Antony nennt sich selbst Éleveur de Fromages, also Käsezüchter nennt. Auch in den Kellern von Guffanti züchtet man Käse auf Holzgestellen heran. Wie Antony beschränkt er sich auf die Pflege von Rohmilchkäse und legt Wert darauf, dass er die Käsehersteller kennt und man dieselbe Philosophie teilt. Die Piemonteser sind aber etwas weniger selektiv bei der Region, aus der sie den Käse beziehen und bei einem Gang durch den Keller findet man Tausende teilweise sehr lange gelagerte Käselaibe aller Größen, meist aus Italien, aber auch Spezialitäten aus anderen Ländern Europas. Das ist etwas anderes als Massenkäse aus dem Allgäu, bei denen mit dem Bild von glücklichen auf grünen Almen weidenden Kühen meist nur geflunkert wird. Meist sind es italienische Käse. Rund 500 Käsesorten sind in Italien registriert, von denen er rund 160 führt und davon rund 400 Produkte vorrätig hält, die in teil ineinander übergehende, teils abgesonderte Kellerräume unterschiedlich lang brauchen, bevor sie den optimalen Reifegrad erreicht haben. Guffanti sieht sie als Kinder, die er und sein Team auf ihrem Weg zur Reifeprüfung unterstützend begleiten, damit sie dann ihr Bestes geben können. Er ist davon überzeugt, dass die hinter der Mauer verlaufende Wasserader und die Ablagerungen der vielen Jahre mit ihrem eigenen Mikroklima einen wesentlichen Einfluss auf den Käse haben. Wie eine Art natürlicher bakterieller Selektion, die man wenn notwendig mit natürlichen Mitteln beeinflussen kann. Neben der Handschrift des Käsers findet sich im Endprodukt dann auch die Handschrift des Züchters wieder.

Eine Besonderheit und fast so etwas wie ein Urvater aller Käse ist der aus Sardinien stammende Callu de Cabrettu. Eigentlich handelt es sich dabei um Ziegenlab, bei dem man den Labmagen eines noch säugenden Zicklein reinigt mit Muttermilch der Ziege füllt und mit einem Seil zusammenbindet. Im Magen befindet sich bereits das Lab, um den weiteren bis zu vier Monate währenden Reife- und Gärprozess anzuregen. Man findet den Käse wohl nur in der sehr dünn besiedelten Region Ogliastra und selbst dort ist er sündhaft teuer. Nach den Gepflogenheiten schneidet man ihn in Scheiben und ißt ihn auf sardischen Carrasau Brot zusammen mit dem Magen oder brät ihn in Schmalz. Er hat einen intensiven und würzigen Geschmack und passt gut zu einem Wein aus Gattinara.

Wundervoll ist es, wenn der Wein gut mit dem Käse harmoniert. Manche sagen, dass wenn sich deren Farbe ähnelt, wäre dies auch gut für Geschmack, der ein Gleichgewicht bilden sollte. Deutsche Riesling Fans sollten den nach Ansicht Guffantis mit einem Caciocavallo Podolico aus Apulien oder der Basilikata versuchen, mit dem aus der Region stammenden Ghemme oder Gattinara bietet sich ein Silter DOP aus dem Tal des Oglio oberhalb des lombardischen Lago d’Iseo an. Guffanti blickt ein wenig neidisch auf den Kollegen Antony und die französische Käsekultur, die Käse zu stolzen Protagonisten macht, wohingegen in Italien Käse mehr und mehr von den Speisekarten verschwindet. Das ist schade, denn in einem Restaurant braucht man nicht sehr viel mehr als 150 bis 200 Euro, um eine hervorragende Käseplatte zusammenzustellen. Doch die Kenntnisse in der Gastronomie und im Handel sind nicht sehr gut. Zwar kennen die meisten noch Gorgonzola, Roquefort und Stilton als Edelschimmelkäse, doch wenn sie auf einem Castelmagno oder Taleggio grünen Schimmel finden, werfen sie ihn leider oft in den Biomüll, ohne zu wissen, dass dies ein Qualitätsmerkmal des Käses ist.

Guffanti blickt, wie schon Reisbauer Rondolino am Vortag, mit einer gewissen Sorge auf das geänderte Klima, dass auf den Bergen nicht den notwendigen Niederschlag und Schnee bringt, was Bäche und Flüsse ausdünnt und Seen wie den Gardasee stark austrocknen lässt. So wird auch das Wasser für die Almen und Reisfelder knapp. Für die Reisbauern bedeutet das weniger Reis. Für Guffantis Geschäft hat der Sommer 2022 zu einem dramatischen Rückgang der Milchproduktion geführt. Auf den Almen vergilbte das sonst saftig-grüne Gras vorzeitig und bei 27° C auf den Almen oberhalb von 2000 Metern litten die Kühe und gaben 20 bis 30 Prozent weniger Milch. Das macht sich auf die Zahl der Käselaibe und den Preis bemerkbar.

Stresa und die Borromäischen Inseln

Gegen Mittag mache ich mich auf den Weg nach Stresa. Dorthin sind es zwar nur knapp 20 Kilometer, aber die Fahrt am Lago Maggiore entlang kann sich hinziehen, denn gerade an sonnigen Herbsttagen zieht es viele Ausflügler an den lohenden See. Quartier habe ich für die letzte Nacht im Piemont im gepflegten 4-Sterne-Hotel La Palma gebucht, das nur durch die Straße vom Lago Maggiore getrennt ist und schöne weite Blicke über einen Großteil des See erlaubt. Das befindet hat einen eigenen Privatstrand und liegt nur 200 Meter vom Ortszentrum entfernt. Stresa gilt als die touristische Hauptstadt des Lago Maggiore und ist umgeben von wunderschönen Gärten und der mondänen Uferpromenade. In Sichtweite liegen die Borromäischen Inseln und auf der lombardischen Uferseite ragen die Bergketten empor. Sein angenehmes Klima macht Stresa bis in den Winter zum gefragten Ziel für entspannte Urlaubstage.

Die Inselgruppe vor der Küste ist auch mein nächstes Ziel. Sie liegt am Ausgang des Ossola-Tals gebildeten Golf von Verbania, wo Straße und Bahn über Domodossola und den Simplon ins Schweizer Wallis fahren. Den Namen haben sie von der bereits bekannten Familie Borromeo, die seit dem 12. Jahrhundert ihre Besitzer waren. Heute hat sich die Familie meist auf den Isolino di San Giovanni zurückgezogen, die kleinste der bewohnten Inseln, die nur wenige Meter entfernt vom Ufer bei Verbania liegt und nach wie vor im Privatbesitz der Familie Borromeo ist.

Am nächsten bei Stresa, nur etwa einen Kilometer von meinem Hotel entfernt liegt mit der Isola Bella, das Comtesse Isabella Borromeo benannte Inselchen. Einst war es nur ein unwirtlicher Felsen, doch als die Familie dort im 17. Jahrhundert einen attraktiven Sommerpalast bauen ließ, ließ sie ihn planieren und legte mit Unmengen auf die Insel transportierter Erde ein pyramidenartiges System von zehn Terrassen für den Garten an. Der barocke Palazzo Borromeo beherbergt Gemälde lombardischer Künstler und flämische Wandteppiche. Prächtig ist das gewaltige Treppenhaus. Auch Kaiser Napoleon hatte hier einst mit seiner Gattin Josephine einige Nächte verbracht. Noch immer kann man das prächtig ausgestattete napoleonische Zimmer besichtigen. Im Frühjahr 1935 tagte im Palast als Gäste Benito Mussolinis die Stresa-Front, der Zusammenschluss der ehemaligen Weltkriegspartner Großbritannien, Frankreich und Italien, nachdem Hitler kurz zuvor die Rüstungsauflagen des Versailler Vertrags für nichtig erklärt hatte. Das Ergebnis blieb, trotz erhitzter Diskussionen, ebenso brüchig und blutleere wie die meisten heutigen zwischenstaatlichen Vereinbarungen.

Apropos Hitze: Besonders im heißen Hochsommer sehr angenehm sind die Muschelgrotten im Untergeschoss, mit hellen und dunklen Stein- und Muschelverzierungen. Draußen im Park warten bereits ein paar weiße Pfaue mit ihrem Nachwuchs auf die Besucher, die die nach antikem Vorbild angelegten pyramidenförmig Gartenanlagen mit ihren Balustraden besuchen. Statuen von mythologischen Helden und Tieren zeigen die Liebe für verspielte Details der Familie Borromeo. Während der Palast und die Parkanlagen im Besitz der Familie sind, haben sich unterhalb der Mauern am Westufer einige Häuser mit Gaststätten, Souvenirgeschäfte und der Schiffsanlegestelle.

Wer mag und plant, kann auch auf der Insel bei der Familienholding Terre Borromeo übernachten. Das Albergo Ristorante Delfino war ab 1700 das Gästehaus des Palastes, später kamen dort Reisende unter. Die Schriftsteller Goethe, Lord Byron, Dickens und Stendhal genossen dort ebenso ein paar schöne Stunden wie Charles und Diana. Vergangenes Jahr hat man den Gasthof sehr schön restauriert und wiedereröffnet. Man kann dort auch erstklassig essen.

Ich ziehe allerdings nach einem kurzen Imbiss für das Abendessen eine Insel weiter. Die Isola dei Pescatori, die Fischerinsel, ist seit dem 14. Jahrhundert von Fischern dauerhaft bewohnt. Heute leben die 57 Einwohner zwar noch vom Fischfang, doch hauptsächlich vom Tourismus, der die zahlreichen Restaurants und Souvenirstände besucht. Am Lido kann man picknicken, Boccia spielen oder im Lago baden. Ich habe mein Abendessen im Hotel Verbano gebucht. Draußen wird es langsam dunkel und es ist zauberhaft, dort beim Aperitif zu sitzen, wenn die untergehende Sonne den See und die Berge langsam in ein kräftiges Rot tauscht. Eines seiner vier Menüs hat Küchenchef Marco Sacco dem Geschmack des Piemont gewidmet und so lasse ich meinen Besuch der schönen Region mit Vitello Tonnato, die hier auch Tajarin genannten Tagliolini, schmale Bandnudeln mit köstlichen Castelmagno-Käse und frischen darüber gehobelten schwarzem Trüffel und zart geschmorte und mit dem Löffel zu genießende Rinderbäckchen in einer Barolo Sauce mit einem mit Parmesan verfeinerten Kartoffelpüree und zum süßen Abschluss einer Millefeuille mit Zabaione-Mousse, Gianduja und Heidelbeeren.

Das Taxi bringt mich in 45 Minuten zum Flughafen Malpensa. Es sollte nicht meine letzte Genussreise ins Piemont gewesen sein, denn schon allein beim Käse und Wein habe ich auf der Reise viele spannende Entdeckungen machen können, die es wert sind, vertieft zu werden.

© Michael Ritter















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