Ein wenig wirken die 24 kleinen braunen 10ml-Fläschchen, fein säuberlich und sicher verpackt in 8er-Reihen in einem Pappkarton, die mir Tim Müller mit auf den Weg zurück nach Hause gegeben hat, wie Phiolen für medizinische Mittel. Ganz oben auf dem Etikett die Destillats Nummer, darunter, etwas größer, der Name des wichtigsten Inhaltsstoffes, oft zusammen mit dem lateinischen Namen. Dann Inhaltsangabe, der Alkoholgehalt und zum Schluss die Chargennummer. Natürlich fehlt auch nicht die Angabe über den Hersteller mit wichtigen Kommunikationsdaten: die Deutsche Spirituosen Manufaktur in Berlin, die Tim im Jahr 2017 zusammen mit Konrad Horn gegründet hat.
Eigentlich hatten weder Tim noch Konrad Erfahrungen aus dem Spirituosengeschäft. Tim hatte Betriebswirtschaft und Marketing studiert und sich dann einen Namen als einer der 200 weltweit besten Werbefotografen gemacht, bevor er nach knapp einem Jahrzehnt in diesem Job den Betrieb mit Konrad gründete und ihn seitdem führt. Bei Konrad stammen die Kenntnisse der Destillation aus der Pharmazie, denn als promovierter Apotheker leitete er über 20 Jahre lang Labore zur pharmazeutischen Qualitätskontrolle und konnte so im neuen Job sein Wissen über Pflanzen und ihre Inhaltsstoffe, Produktentwicklung, Produktionsprozesse und Qualitätskontrolle einbringen.
Kennen tun sich die beiden schon länger, aber es bedurfte jahrelanger akribischer Vorbereitung, um nach langen Versuchen so weit zu sein, dass sie es sich zutrauten, mit ihrer Premium-Brennerei zu reüssieren und sich mit den Produkten der Manufaktur – denn alle Produkte sind echte kulinarische Handarbeit – in Deutschland einen Namen zu machen. Statt nur allbekannten Obstler, Williams-, Kirsch- oder Himbeerbrand zu destillieren, sollten dabei neue spannende Kreationen entstehen.
Die Herstellung ist nicht ganz banal, denn Qualität kommt nicht von ungefähr, sondern verlangt sorgfältige Planung schon bei der Auswahl hochwertiger natürlicher Rohstoffe, die fast nur in Bio-Qualität eingesetzt werden. Für die Destillation haben Tim und Konrad viel Geld in die Hand genommen, um die besten Kupferbrennblasen zu kaufen, die es auf dem Markt gab. Dabei legen sie bei den kleinen Chargen, die sie damit brennen, besonderen Wert auf die sorgfältige Trennung von Vor- und Nachlauf, damit nur das optimale Produkt in die Flasche kommt. Industrielle Aromen oder Farbstoffe sind den Gründern ein Graus und Zucker wird nur bei Likören eingesetzt, wo er unverzichtbar ist.
Einer der Vorteile der kleinen Manufaktur ist es, dass man sich derzeit bei den Destillaten auf klare Brände und Geiste konzentriert, die – anders als zum Beispiel Rum und Whiskey – schon kurze Zeit nach der Destillation höchsten Trinkspaß versprechen, ohne eine Lagerung über Jahre oder gar Jahrzehnte notwendig zu machen.
Dabei entstehen die Brände und Geiste nach unterschiedlichen Verfahren. Wird beim Brand die Frucht gemaischt, also zerkleinert mit Hefen zusammengebracht, die den Zucker zu Alkohol vergären, nutzt man beim Geist Früchte oder Rohstoffe ohne viel Zucker, deren Aroma man durch ein Bad in neutralem Alkohol mazeriert, also auslaugt. Beide Erzeugnisse werden anschließend destilliert und können dann als Brand oder Geist abgefüllt werden.
Inzwischen hat ihre Destillerie schon mehr als 100 Produkte entwickelt und zur Marktreife gebracht. Um sich abzusichern, haben die beiden einige ihrer Produkte bei der DLG zu Qualitätsprüfung eingereicht und wurden dort 18mal mit “Gold” ausgezeichnet, was ihnen als herausragende Leistung den Bundesehrenpreis in Gold des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft einbrachte. Dies feiert die DSM jetzt als Qualitätsbotschafter der Branche. Die Kollegen vom Wiener Standard hatten beim Verkosten der Produkte ein Déjà-vu: „Die Deutsche Spirituosen Manufaktur serviert Erinnerungen in destillierter Form.“ |
Vielleicht haben die Kollegen dabei das Destillat aus Herbstlaub im Sinn gehabt. Mit dieser und anderen ungewöhnlichen Kreationen rennt die DSM bei engagierten Küchen- und Bar-Chefs offene Türen ein – längst weit über die Grenzen Berlins hinaus. Im ganzen Land findet man Gourmet-Ziele, die sich von den ausgefallenen Produkten der Berliner mitreißen lassen und sie gerne bei Cocktails und bei ihren Küchenkreationen einsetzen. „Ist das wirklich Herbstlaub?“, lautet eine der ungläubigen Fragen, die beim Verkosten laut wird. Ja, denn Tim und Konrad wollen Neues, nie Dagewesenes probieren und geben auch verrückt klingenden Ideen eine Chance über eine schrittweise Versuchsoptimierung zum verkaufsfähigen Produkt zu werden. Den Ursprungsgeruch von Herbstlaub haben wir vermutlich alle in unserem Erfahrungsschatz gespeichert, auch wenn wir vielleicht über Jahre nicht mehr wie Kinder unsere Nase hineingesteckt haben. Genau den Geruch haben sie in ihrem Geist vom Herbstlaub eingefangen. Basis waren frisch gefallene Blätter, die neben dem typischen Geruch auch fruchtige Noten abgaben. So wurde Herbstlaub schnell zum Liebling der Mixology. Woher der Geruch und Geschmack genau kommt, ist selbst den Machern nicht genau bekannt, aber sie vermuten eine Kombination aus zerfallenden Stoffwechselprodukten der Blätter und dem Abbau der Blätter durch die Strahlenpilze am Waldboden die auch das erdig riechende Geosmin produzieren.
Begeistert hat uns bei der Verkostung auch das kleinen Muster des DSM London Dry Gin, ein Pionier der Manufaktur, der in der 40ml und 350ml-Version in einer durchsichtigen Weißglas-Flasche auf den Markt kommt, die deutlich an die Vergangenheit Konrad Horns erinnert und für die der Ex-Apotheker gut drei Dutzend Botanicals fein säuberlich aufeinander abgestimmt hat. Wie jeder gute Premium-Gin regt er beim Verkosten bei Zimmertemperatur sofort das Gedächtnis an, die diversen Aromen zuzuordnen, die darin zusammenspielen. Natürlich ist der Wacholder als Namensgeber auch aromatisch ein Schwergewicht, aber auch Koriander und würzig-frische Zitrus-Noten sind schon beim ersten Schnuppern abzuhaken. Kardamom verleiht ihm die Schärfe, diverse Pfeffersorten die passende Würze. Dazu kommen Kräuter- und Gewürztöne, die es dem Verkoster nicht so leicht machen, dann aber Zimt, Nelke, Muskatnuss, Minze und Kamille vermuten lassen. Dezentes Lavendel und Thymian runden den harmonischen kleinen Schluck ab. In diesem Jahr hat Konrad etwas Besonderes probiert und hat das aus Wacholder gewonnene Spitzendestillat seiner Manufaktur mit anderen fruchtigen Destillaten aus seinem Brennkolben vermählt. Herausgekommen sind dabei sechs neue Gin-Brands mit dominanter Zitrus-, Minze-, Beeren-, Wald-, Mokka- und Blüten-Note, alle fein aufeinander abgestimmt, die man nach Gusto separat oder im kleinen Verkostungsset bekommt.
Wer mag, kann auf der Website der Manufaktur an jedem ersten Freitagnachmittag des Monats eine Führung durch die Brennerei im historischen Backsteingebäude in der Georg-Knorr-Straße 4 in Marzahn-Hellersdorf buchen, das Anfang des vorigen Jahrhunderts für die Herstellung von Zugbremsen errichtet wurde oder sich dort bei einem Workshop oder Brennkurs selbst in die Kunst des Destillierens einweihen lassen. Ein Ort, der auch für Firmenveranstaltungen einen tollen Rahmen bietet. Sonst bietet der benachbarte Showroom montags bis samstags fachkundige Beratung und die Möglichkeit zur Verkostung der in 100 % Handarbeit entstandenen Spirituosen. Dieses „Made in Berlin“ lohnt sich.
© Nilgün Burgucu |