Literatur für Genießer und Reisende

Osborn, Liebe ist die beste Therapie

Nichts für Actionfans, denn das ganze Buch spielt sich in einem Raum mit vier Stühlen. Der Raum ist die Praxis von Sandie, einer Paartherapeutin in San Francisco, die das dazugehörende Haus von ihrer Mutter bekommen hatte. Auf den vier Stühlen sitzen: eine Frau (Charlotte) und ein Mann (Steve), beide Mitte 30 sowie die Paartherapeutin Sandie mit ihren teils unorthodoxen Methoden. Der vierte Stuhl bleibt leer oder eben auch nicht, denn auf ihn sitzt die Ehe, die die beiden aufgebaut haben. Und von der die Therapeutin zu Anfang sagt, die Chance, sie zu retten, sei höchstens 1:1000.

Gut sieht es nämlich nicht aus, denn Steve und Charlotte haben von ihrer Ehe genug und haben sich schon getrennt. Steve ist für die Trennung verantwortlich, da er seine Frau betrogen hat und auch Charlotte hat danach Trost bei einem Kollegen gesucht. Sollen sie sich scheiden lassen? Ihren Kindern zuliebe wollen sie einen allerletzten Versuch unternehmen, wieder zusammenzufinden. Sandie, eine Therapeutin mit bewegter Vergangenheit, soll es für sie richten. Schafft Steve es überhaupt sich um die Kinder zu kümmern? Charlotte hat da ihre Zweifel. Als er mehr Zeit mit ihnen fordert und nicht nur jedes zweite Wochenende, muss er erst einmal zeigen, dass er das überhaupt kann. Er kann ja noch nicht einmal kochen.

In 31 wöchentlichen Sitzungen kommt bei den beiden die ganze über die Jahre angestaute Wut, der Schmerz, die Verletzungen und die Verstörung ans Licht. John Jay Osborn schafft es tatsächlich, dass sich dieses Sezieren einer Ehe, bei dem die Beteiligten mühsam lernen, über den eigenen Schatten zu springen, Widerspruch zu ertragen, emotional auf eigenen Füßen zu stehen und ihre Gefühle füreinander neu zusammenzupuzzeln, wie ein Thriller liest. Mancher Leser wird daraus sicherlich auch für die eigene Beziehung etwas lernen können, denn es sind die teils schmunzelnd, teils betrübt, meist aber unausgesprochenen Kommentare Sandies, die nicht nur Steve und Charlotte, sondern auch den Leser zu denken geben.

Denn die Beziehung zwischen Steve und Charlotte existiert nach wie vor, auch wenn sie es nicht glauben wollen. Die beiden streiten um ihre "Rechte" und müssen von Sandie lernen, dass eine Beziehung nicht aus einem Regelwerk besteht, sondern darin die eigenen Gefühle nicht zu kostümieren, sondern sie zu zeigen. Ab und zu benötigen die beiden Einzelsitzungen, um zu lernen die Muster zu erkennen, nach denen sie uns der Partner sich meist verhalten und damit einen Keil in die Beziehung zu treiben. Nicht immer einfach. Besteht eine Aussicht auf ein besseres Leben in einer neuen Beziehung? Wohl kaum, wenn man es nicht schafft, Fallstricke zu umgehen. Sandie ist schon froh, wenn den beiden endlich aufgeht, warum ein zusätzlicher Stuhl im Raum steht. Manchmal ist es gut, einfach mit der Ehe zu reden und dabei herauszufinden, was ihr auf der Seele liegt. Auch der Leser spielt dabei eine wichtige Rolle, denn er findet sich zum Teil wohl in einen, beiden oder allen drei Protagonisten wieder.

Der 73-jährige Autor John Jay Osborn stammt aus einer wohlhabenden alten Familie. Seine Vorfahren waren unter anderem John Jay, einer der Gründerväter der jungen Vereinigten Staaten, der von George Washington zum ersten Chief Justice of the United States ernannt wurde und der steinreiche Eisenbahn-Magnat Cornelius Vanderbilt. Osborn war neben seiner Tätigkeit als Autor auch Anwalt und Jura-Professor. Schon während seines Harvard-Studiums schrieb er seinen ersten Roman "Paper Chase", der als ""Zeit der Prüfungen" mit Timothy Bottoms und John Houseman verfilmt und mit einem Oscar prämiert wurde. John Jay Osborn lebt im kalifornischen Palo Alto. NB

John Jay Osborn, Liebe ist die beste Therapie, Diogenes, Hardcover, 288 Seiten, ISBN 978-3257070439, 22 Euro

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